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Graffiti – Ein Thema für die Documenta in Kassel?: Wenn sich Kunst und Kriminalität Guten Tag sagen

Samstag, Juni 9th, 2012

Graffiti – Ein Thema für die Documenta in Kassel?: Wenn sich Kunst und Kriminalität Guten Tag sagen

Graffiti: Ein Kreativitätsdelikt mit unterschiedlichen Konsequenzen (aus: Monatszeitung Uptown, April 2010)

Von Daniel Grosse

 

„Vorsicht vor kalifornischen Hauswänden. Nicht anfassen. Nicht gestalten.“ So müssten Schilder im Sonnenstaat der USA eigentlich warnen. Hat doch die kalifornische Regierung ein neues Anti-Graffiti-Gesetz verabschiedet. Verurteilte Graffiti-Sprayer müssen ihre Werke wieder reinigen. Nicht nur das. Das Gesetz verpflichtet die Sprayer für ein Jahr, die Flächen von anderen Graffiti zu säubern.

Deutsche Behörden verschonen die Maler bislang noch mit solch Schinderei. Um das Thema kümmert sich das Strafrecht, zum Beispiel in den Paragrafen 303 und 304 des Strafgesetzbuchs. Mit ihnen gerät in Konflikt, wer illegal an Hauswänden, Brücken, Schildern oder sonstwo aktiv waren. Sei es mit bunten Malereien oder mit einfachen Tags, den persönlichen Signaturen der Graffitimaler.

Der Gesetzgeber regelt im Paragraf 303: „Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. Der Versuch ist strafbar.“

 

Was steckt dahinter? Seit 2005 gibt es die neu gefassten Sachbeschädigungsparagrafen. „Zuvor waren Graffiti nur dann eine Sachbeschädigung im strafrechtlichen Sinn, wenn dadurch eine Substanzverletzung eingetreten war – und sei es durch die notwendige Reinigung“, teilt das Landeskriminalamt Berlin mit.

 

Patrick Gau aus Dortmund ist Graffiti-Experte, Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Im Graffiti-Buch „Gleisläufer“ erklärt er, bei Graffitis könne man in aller Regel im Falle einer Verurteilung mit einer Geldstrafe rechnen.

 

Und wann ist eine Veränderung, wie im Gesetz erwähnt, nicht mehr „unerheblich“? „So richtig raus ist das noch nicht, da die Gesetzesbegründung hierzu wenig hergibt. Man muss also auf die hierzu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen zurückgreifen“, sagt Gau im Gespräch. Er nennt ein Beispiel: Das Oberlandesgericht Hamm habe die Ansicht vertreten, dass der Reinigungsaufwand entscheidend für die Frage sei, ob eine Veränderung als „erheblich“ im Sinne des Paragraphen 303 Absatz 2 Strafgesetzbuch einzustufen sei. „Fällt der Aufwand für ein weiteres ‚Tag‘ im Rahmen der Gesamtreinigung nur noch unerheblich ins Gewicht, sei keine ‚erhebliche‘ Veränderung des Erscheinungsbildes mehr gegeben“, so Gau. Er vertritt hingegen die Ansicht, dass ein Graffiti dann eine nur noch „unerhebliche Veränderung“ darstelle, wenn es weder durch seine Größe noch durch seine besondere Qualität in Farbe oder Form für einen objektiven Dritten besonders auffällig sei. „Ein Beispiel: Ein schwarzes Edding-Tag auf einer mit schwarzen Edding-Tags übersäten Tür fällt niemandem auf – die äußerliche Veränderung ist unerheblich“, sagt der Strafverteidiger Gau.

 

Es geht also um ganz praktische Fragen wie: Sollten Graffiti-Aktionen nicht doch allesamt legalisiert werden? Wie steht der Staat dazu? Eine Antwort liefert das Strafgesetzbuch. Eine andere der Jurist Gau: Einige Sprüher hätten ihm erzählt, dass man in Brasilien am helllichten Tage malen könne – also machten sie es dort. „Würde man theoretisch in Deutschland sämtliche Wände als bemalbares Allgemeineigentum betrachten, würden wohl nur noch die wenigsten Maler nachts sprühen gehen.“

 

Das ist Zukunftsmusik. Zumindest jedoch könnte sich die Graffiti-Rechtsprechung mittelfristig einpendeln und weniger Fehler bei der Anwendung der Paragrafen machen. Es wird eine Einzelfall-Rechtsprechung entstehen, die herausarbeitet, wann eine Veränderung erheblich, dauerhaft und unbefugt ist. Das jedenfalls erwartet Graffitianwalt Gau. Er befürchtet zudem, dass Gerichte den vorgegeben Strafrahmen verschärft ausschöpfen werden. Denn bei Graffiti sei oft die Rede von Millionenschäden. Er habe beobachtet, die Gerichte neigten allmählich dazu, „abschreckende Exempel statuieren zu wollen“.

 

Der Markt bietet immer raffiniertere Reinigungsmethoden. Schutzschichten sollen gar verhindern, dass die Farbe der Sprayer auf Stein oder Putz der Hauswände durchdringt. Langfristig könnte sich also die Frage stellen, ob Tags und Bilder bei schnell zu reinigenden Fällen überhaupt noch „erheblich, dauerhaft“ verändern. Ein Weg in die Legalität?

 

Jedenfalls ist nach Ansicht Gaus Graffiti das einzige Kreativitätsdelikt im Strafgesetzbuch. Man werde bestraft, weil man sich Gedanken über Worte mache und diese Gedanken mit Farbe auf einen Gegenstand auftrage. Das sei für den einen oder anderen sicher ärgerlich. Dass der Sprayer für die Säuberung der besprühten Wand aufkommen muss, sei auch in Ordnung. Aber Graffiti sei keine Straftat und schon gar keine, die hinsichtlich der Strafandrohung im selben Atemzug wie sexueller Missbrauch genannt werden sollte.

Was bleibt, ist die Angst – Kriminelle Taten bedeuten einen Einschnitt – Opfer berichten

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Frankenberg. Im Februar diesen Jahres wurde Michaela S. (Namen geändert), elf, auf dem Burgberg in Frankenberg sexuell missbraucht. Mit zehn Kindern war sie an diesem Tag unterwegs. Sie spielten, waren fröhlich. Als Michaela und ihre Freundin an einem Gartenhaus vorbeikamen, wurden die beiden von einem Mann, Christian B., angesprochen. Er sagte zu den Mädchen: „Kommt mal mit, Fotos angucken.“ Die schauten sie sich an, ganz normale Kinderfotos. Was folgte, waren Fragespielchen wie: In welcher Klasse seid ihr? Auf welcher Schule? Wie alt?

„Bist du mutig?“ hieß das nächste Spiel. Er berührte die Füße der Mädchen, dann die Beine und führte seine Hand in deren Hosen. Die Mädchen schafften es, zu fliehen.

Das spätere Strafurteil für den Täter wegen sexueller Nötigung – angewendet wurde Jugendstrafrecht: zwei Wochenenden Freizeitarrest. Auch einer Therapie muss er sich unterziehen.

Äußerlich und auf den ersten Blick ist Michaela S. heute nichts mehr von der Tat anzumerken. Sprechen über das Erlebte will sie mit Fremden aber nicht. „Sie hat in der Schule komplett abgebaut. Sie hat Albträume, sie spricht im Schlaf“, erzählt die Mutter. „Wenn sie danach ein Auto sah, das rot war wie das von Christian B., dann hat sich meine Tochter hinter mich gestellt.“ Die Mutter berichtet, dass sich das Mädchen jetzt schäme, und dass sie sich nicht mehr nackt zeigen möchte.

Per Antrag haben die Eltern Michaela in der Schule zurückstufen lassen. Sie wiederholt zurzeit die fünfte Klasse.

„Unsere Tochter ist ganz anders geworden. Wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht weggleitet.“ Die Mutter hat Briefe gefunden, in denen ihre Tochter sich die Schuld für die Vorfälle gibt. „Ich habe ihr gesagt ‚Du bist nicht schuld!‘ .“

Den Zustand von Michaela am Tag der Gerichtsverhandlung beschreibt ihre Mutter als „zitternd“. Und den Urteilsspruch nennt sie „einen Witz“.

Nach der Tat war das elfjährige Mädchen in psychologischer Behandlung. Die Therapeutin hat der Mutter Hoffnung gemacht und gesagt: „Ihre Tochter ist eine starke Persönlichkeit.“

Andere Tat, andere Opfer: An einem Sonntag im Sommer diesen Jahres wurden die Röddenauer Martin G. und seine Frau Opfer blinder Zerstörungswut. Martin G. fuhr an diesem Tag mit seinem Golf zum Angeln nach Frankenberg. Seinen Wagen parkte er auf der Wehrweide. Kurz nach acht kam sein Bruder und rief ihm zu: „Dein Auto ist demoliert worden. Die Polizei sucht dich.“ Auf dem Parkplatz fehlten Pflastersteine. Scheiben und Türen waren eingeschlagen und eingetreten.

Ein Schock war das für Martin G. und seine Frau – vor allem finanziell. Mit solchen Ausgaben hätten sie nicht gerechnet, sagen sie heute. Eine Versicherung sprang nicht ein. Außerdem waren sie auf ein Auto angewiesen. Verwandte und die Opferschutzorganisation Weißer Ring halfen mit dem Nötigsten. Auch die Reise an ihrem 20. Hochzeitstag mussten sie verschieben. „Jetzt haben wir gelernt, nichts mehr zu planen.“ Im Oktober kommt ihr Fall vor Gericht.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 3. Oktober 2004