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Extremsport – Auf der Suche nach dem Glückskick – von Daniel Grosse

Dienstag, August 13th, 2013

Extremsport – Auf der Suche nach dem Glückskick – von Daniel Grosse

Quelle: DMAX Magazin, Juni 2013 – Von Daniel Grosse, Journalist aus Marburg

Ein Auszug mit Erweiterungen als Leseprobe:

Nicht von dieser Welt – Auf der Suche nach dem Glückskick

Sie sind schnell, mutig, stark, ausdauernd, zäh, perfekt trainiert, kontrolliert. Und sie erzählen mit dem, was sie tun, packende Geschichten. Die Suche nach Glück treibt diese Menschen an. Ihre Welt ist der Sport. Sie sind Extremsportler. Und niemals wird über einem Geschäft ein Schild hängen mit der Aufschrift: Zubehör für Extremsport. Die Ausnahme-Athleten besorgen sich ihre Seile, Steigeisen, Mountainbikes, Flossen, Gleitschirme, Wing-Suits oder Laufschuhe bei zig Firmen und Herstellern.

Von Daniel Grosse, Journalist aus Marburg

„Well, George, we finally knocked the bastard off“ – George, wir haben den Bastard letztlich doch bezwungen. Edmund Hillarys erste Worte nach seinem Abstieg an seinen langjährigen Freund George Lowe. Ganz oben war Hillary gewesen, höher geht es nicht auf Erden: auf dem Gipfel des Mount Everest. Gemeinsam mit seinem Sherpa Tenzing Norgay war er der erste Mensch, der den 8.850 Meter hohen Berggiganten bezwang. Vor genau 60 Jahren schafften die beiden damit das schier Unmögliche. Am 29. Mai 1953 um 11.30 Uhr.

Auch Reinhold Messner bestieg Ende der 1970er-Jahre den Everest, gemeinsam mit Peter Habeler. Und zwar als erste Menschen ohne Zuhilfenahme von Flaschensauerstoff. Und der US-Amerikaner Erik Weihenmayer folgte dem Mythos Mount Everest 2001. Auch er kämpfte sich durch Fels, Geröll, Schnee, die Höhe und über extreme Abgründe. Und gelangte auf das Dach der Welt. Nur sehen konnte der Bergsteiger das Panorama von dort oben nicht. Weihenmeyer ist blind – und gilt bis heute als der einzige Blinde, der bislang den Gipfel des Mount Everest erreicht hat.

Noch ein Extrem: Wer auf dem Sofa sitzt und auf Youtube Dana Kunze zuschaut, wie dieser 1983 in Sea World, Kalifornien, von einer kleinen Plattform 52 Meter in die Tiefe Salto-schlagend in ein Wasserbecken springt, in Badehose und mit fest bandagierten Knien und Unterschenkeln, kommt ins Grübeln. Wer das sieht, stellt sich Fragen. Warum machen die das, riskieren ihr Leben bloß für den Sport. Warum laufen sie beim Marathon des Sables 240 Kilometer quer durch die Sahara oder tauchen frei in unsagbare Tiefen des Meeres? Die Vorliebe für Extremsport liege zumindest teilweise in den Genen, haben Forscher herausgefunden. Es geht um die Suche nach Glück. Extremsportler loten ihre eigenen physischen und psychischen Grenzen aus. Sie leben ihre ganz eigenen Träume. Denn Wohlstand und das Anhäufen von Konsumgütern machen auf Dauer nicht glücklich. „Nachhaltig glücklich macht den Menschen nur, wenn er etwas geschafft oder etwas erreicht hat, was er vorher nicht für möglich gehalten hätte und dies trotz aller Widerstände realisiert hat“, erklärt Iris Hadbawnik, Ironman-Finisher, Marathon- und Ultraläuferin. Und dabei gehe es den meisten Extremsportlern nicht um den Wettkampf mit anderen, so Hadbawnik, die sich auch als Autorin mit Büchern wie „Bis ans Limit“ und „Mythos Mount Everest“ mit den extremen Formen des Sports auseinandergesetzt hat.

Menschen wie der High-Diver und Wasserspringer Dana Kunze bewegen sich irgendwo zwischen den Welten. Denn Sport kann vieles sein: extrem, funny, riskant, outdoor, gefährlich, gewagt, abseits des Alltäglichen. Und er fordert Leistung, in der die Sportler sich mit anderen messen. Was also unterscheidet Extremsportler von Leistungssportlern? „Meiner Meinung nach liegt der große Unterschied in der Motivation, mit der man an ein Ziel herangeht. Der Leistungssportler will einen Wettkampf gewinnen oder im Wettkampf seine Konkurrenten besiegen. Der Extremsportler ist oftmals ein Genussmensch“, sagt Iris Hadbawnik. Ihm gehe es in erster Linie nicht um das Siegen, sondern darum, seine persönlichen Ziele zu erreichen oder ein Projekt zu realisieren. WIE er das schafft, und DASS er dieses erreicht, treibt ihn an.

Extremsport hat eine lange Tradition. „Für mich ist der Ausgangspunkt der Alpinismus, es sind die englischen Aristokraten“, sagt Franz Bockrath, Sportwissenschaftler an der Technischen Universität Darmstadt. Sie gingen hinaus und hinauf auf die Berge und erzählten sich anschließend ihre Abenteuer in ihren exklusiven Clubs und in biografischen Aufzeichnungen. Das gibt es auch heute noch, nur anders. Öffentliche und private Medien etwa, Fernsehen und Internet, transportieren Bilder. Menschen präsentieren und beschreiben, was sie Verrücktes und Spektakuläres machen. Den medialen und sportlichen Höhepunkt bislang lieferte der Extremsportler Felix Baumgartner im Herbst 2012. Der Österreicher sprang vom Rande des Weltalls aus 39 Kilometern Höhe aus einer Kapsel in Richtung Erde. Als erster Mensch durchbrach er im freien Fall die Schallmauer.

Extremsport ist nichts fürs stille Kämmerlein. Extremsport möchte wahrgenommen werden. Extremsportler möchten packende Geschichten in packenden Bildern erzählen, um damit Emotionen zu wecken. Der Sportfilm „Fire and Ice – Feuer und Eis“ aus den 1980er-Jahren machte den Anfang. Willy Bogner als Regisseur und Kameramann zeigte spektakuläre Skiszenen, eingerahmt in eine Spielfilmhandlung. Poppige Musik beschleunigte das Visuelle. Schauspieler rasten zum Beispiel auf Skiern eine Bobbahn hinab. Auch James Bond sauste schon mehrmals halsbrecherchisch durch verschneite Landschaften. Aktuellere Filme sind Skifilme wie „Nothing else matters“ oder „Hurts so good“ aus der Freeskiszene. Auch „Where the trail ends“ aus der Welt der Mountainbiker gehört hierher.

Und es geht um Vermarktung. Schließlich sind Sportler längst Marken oder sie helfen Marken und Produkten, wahrgenommen, gekauft zu werden. Skimode war es in Bogners Film, andere laufen, springen oder fliegen für Getränke-Giganten mit einem roten Bullen im Logo.

Wo einerseits Extremsport mit dem Unternehmen, spektakulär präsentiert, wie verschweißt erscheint, punkten andere Firmen vor allem mit der Qualität ihrer Produkte. „Der Extremsport ist ein kleiner Markt, aber einer, bei dem Hersteller ihre Kompetenz ganz besonders unter Beweis stellen können“, sagt Adalbert von der Osten, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sportartikel-Industrie. Er wählt den Vergleich mit dem Leistungssport, wo die Produkte Extrembedingungen ausgesetzt werden. Sie müssen beweisen, dass sie funktionieren, leistungsfähig und belastbar sind und lange leben. „Ein Extremsportler würde niemals auf minderwertige Produkte setzen, er muss sich voll auf sie verlassen können. Unter Umständen hängt seine Sicherheit oder gar sein Leben davon ab“, sagt von der Osten. Technisierter werde wohl vieles werden im Extremsport. „Denken Sie nur an Lawinenpiepser, GPS und ähnliches. Wir erwarten dort positive Umsatzimpulse.“

Extremsport wird gleichzeitig exquisiter, teurer. „Man muss ihn sich leisten können“, sagt Professor Martin Kopp, Psychologe am Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck. Neben der zunehmenden Technisierung kommt hinzu, dass die Startorte und Wirkungsstätten der Extrem-Athleten immer ausgefallener werden: höher, tiefer, abgelegener, kälter, heißer. Mehrere hundert Euro als Startgebühren plus immense Reisekosten plus Visagebühren sind teilweise zu stemmen. In manchen Disziplinen geht es günstiger im eigenen Land. Im Umfeld von Aachen könnte schon bald eine Extremsportarena entstehen. Ein Novum. Architekten, Kommunikations- und Produktdesigner kooperieren. Studententeams werden bei dem Sportarena-Projekt ihr Bestes geben. Ende des Sommers folgt die Endpräsentation.

Ob dann Männer und Frauen gleichermaßen das Extreme suchen? Wohl kaum. Extremsport ist eine Männerdomäne. Teresa Segbers hat jüngst in ihrer Masterarbeit einige Kriterien herausgearbeitet: relativ junge Männer, meist ledige Einzelgänger, kreativ und phantasievoll, mutig und aufgeschlossen, unangepasst. Obgleich auch Frauen inzwischen alle Achttausender bezwungen haben.

Nicht viele gehören in diese Kategorie der extremen Männer. Zum Extremsportler macht sie aber auch, dass sie teils vielseitig und in ihren Disziplinen sehr erfahren sind. So betreiben diese extremen Männer zum Beispiel schon seit Jugendzeiten Paragliding, Klettern, Bergsteigen, Wildwasser- und Meer-Kajakfahren, Eisklettern an gefrorenen Wasserfällen, Kitesurfing und Tauchen. Sie betreiben jede ihrer Sportart aus vollem Herzen, immer in dem Bewusstsein, dass sie ihn töten kann. Sie müssen deshalb dabei immer der beste sein und sprechen von kalkuliertem Risiko. Im besten Falle sind sie keine Wochenend-Krieger in ihren Sportarten, wie Menschen, die zum Beispiel fünf Tage die Woche im Büro arbeiten, und dann für zwei Tage die Schnellsten, die Stärksten, die Wagemutigsten sein wollen.

Aber manche dieser extremen, wagemutigen Sportmänner sind auch vorsichtiger geworden. Sie haben Freunde an ihre Extremsportarten verloren. Oder sie haben inzwischen Familie, Kinder. Und dann gehören Versprechen wie dieses zum Leben der Extremsportler: Die Dinge haben sich geändert. Unnötige Risiken sind Vergangenheit.

Von Daniel Grosse, Journalist aus Marburg
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These:
„Maximales Sicherheitsdenken und viel Erfahrung sind die Grundvoraussetzungen für echten, ernsthaften Extremsport. Alles andere ist Funsport und Gaudi.“

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Franz Bockrath:
„Am Risikosport lassen sich gesellschaftliche Veränderungen sehr gut ablesen.“