Archive for Juli, 2014

Amnon Orbach: Marbach fühlt er sich verbunden

Donnerstag, Juli 24th, 2014

 

 

SAM_1106

Amnon Orbach in „seiner“ Synagoge    Foto: Daniel Grosse

Das Licht scheint durch die farbig verglaste Decke. In der Synagoge im Marburger Südviertel ist nur Amnon Orbach zu hören. Er steht, spricht zu einer Schülergruppe. Um die Tora und das Judentum geht es. Die Schüler erfahren viele Details: die aufgerollte Torarolle ist 60 Meter lang, aus Pergament gefertigt; gelesen wird sie nicht mit dem eigenen Finger, sondern mit einem kleinen Lesefinger; überwiegend Konsonanten sind dargestellt; der Text ist mit einer Feder ohne Metall geschrieben; fehlt ein Buchstabe, ist die Tora nicht mehr koscher. Die Gruppe verlässt die Synagoge.

Amnon Orbach setzt sich. Der 84-Jährige könnte nun viel erzählen. Aus seinem Leben, aus seiner Zeit in Marburg. Auch im Stadtteil Marbach hat der derzeit dienstälteste Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Deutschland viele Jahre gerne gelebt, am Höhenweg. Nach wie vor ist Amnon Orbach Mitglied des Bürgervereins Marbach.

Doch heute geht es um eine große Ehre, die ihm zuteil wurde: Kürzlich hat Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel Amnon Orbach im Rathaus zum Ehrenbürger der Stadt ernannt und bezeichnete ihn als einen „Mann des Friedens und der Religion“.

„Die Ehrung war eine totale Überraschung für mich“, sagt Amnon Orbach beim späteren Gespräch in der Synagoge. Und dann erzählt er doch aus seinem Leben, davon, wie er vor mehr als 30 Jahren von Jerusalem nach Marburg gezogen ist. Er berichtet von der provisorischen Synagoge, einem Betraum, damals am Pilgrimstein gelegen, wo heute ein Hotel steht. Und er ist sehr froh, in den drei Jahrzehnten, die er nun in Marburg lebt, in der Universitätsstadt noch nie Antisemitismus erlebt zu haben.

Als Sohn eines jüdischen Geschäftsmannes wuchs Amnon Orbach in Jerusalem auf, studierte in Haifa und arbeitete später als Ingenieur in der Industrie. Aus Liebe zu seiner späteren Ehefrau Hannelore kam er nach Marburg. Kennengelernt hatte Orbach sie, als sie als Touristin Israel bereiste. In Deutschland wurde er zunächst Repräsentant einer israelischen Firma, vermisste jedoch das Judentum. Deshalb suchte er Überlebende jüdischen Glaubens – und fand sie. Die Marburger Gemeinde wuchs. 1989 hatte sie ihren ersten Betraum am Fuß der Oberstadt. Aber erst viele Jahre später folgte das, was Amnon Orbach als sein Lebensprojekt bezeichnet: die 2005 geweihte neue Synagoge im Marburger Südviertel.

Einen Namen nennt Amnon Orbach im Gespräch immer wieder: Willy Sage, Gründer und Vorsitzender der Marburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Ihm verdankt Amnon Orbach viel. Dem Mann, der ab 1978 gemeinsam mit dem Magistrat regelmäßige Besucherwochen für ehemalige jüdische Marburger organisierte. Willy Sage half Orbach, im gesamten Landkreis Juden zu finden.

Heute hat die Gemeinde 340 Mitglieder. Bibel- und Hebräischunterricht sowie Konzerte, Vorträge und Lesungen finden regelmäßig statt. Amnon Orbach ist gut befreundet mit dem Vorsitzenden der islamischen Gemeinde Marburgs, Bilal El-Sayat. Nun sucht Amnon Orbach auch die jungen Menschen für seine Gemeinde, spricht schon von Nachwuchssorgen. Immerhin liege der Altersdurchschnitt seiner Mitglieder bei 60 Jahren, sagt er. Und auch die Zukunft seines Schaffens möchte der 84-Jährige in guten Händen wissen. Nach all dem, was er in Marburg, nicht nur für die Menschen jüdischen Glaubens, geleistet hat.

Sprache der Ingenieure: Ein Lunker macht nichts Unanständiges

Dienstag, Juli 22nd, 2014

Sprache der Ingenieure: Ein Lunker macht nichts Unanständiges
Warum es sich lohnt, auch als Ingenieur Schwieriges einfach herunterzubrechen.

von Daniel Grosse

Ein Lunker macht nichts Unanständiges. Er schließt lediglich die Luft ein, ist ein Lufteinschluss im Material. Und warum schreiben oder sagen das dann die wenigsten so? Weil Lunker ein Fachbegriff ist. Unter Fachleuten, Ingenieuren, Technikern mit gleichem Wissenshintergrund, mag das legitim sein, einen Lunker einen Lunker zu nennen – aber nichtsahnenden Dritten gegenüber ist es unanständig. Anders verhält es sich mit Lokomotive, Motor, Turbine, Maschine, Radio oder Elektrizität. „Wir nennen solche Wörter, die in allen Sprachen, welche sie übernommen haben, gleich oder ähnlich lauten, Internationalismen,“ schreiben die Autoren im 1960 erschienenen Werk „Die deutsche Sprache“. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde es eingesetzt als Lehr- und Übungsbuch für Ingenieurschulen, Fachschulen und in der Erwachsenenbildung. Die Internationalismen heißen eben so, und jeder versteht’s.

Aber bestimmte Fachausdrücke muss man erklären. Oder zumindest Leser gleich mit in die bizarre Welt der Technik-Denkenden nehmen. So wie Philipp Reipschläger mit seiner Internetseite ingenieur-kultur.de. Dort sammelt er allerlei Kurioses aus der Schrift- und Sprechsprache in der Welt der Ingenieure. Die Aussage etwa „Wir verfolgen eine Anzahl verschiedener Lösungsansätze“ übersetzt Reipschläger mit „Wir stochern immer noch im Dunkeln“. Die Beispiele der Ingenieur-Terminologie auf ingenieur-kultur.de sind als Übersetzungen natürlich überzogen, aber es gibt im wahren Leben sicher Situationen, wo es in diese Richtungen geht.

Ein Techniker oder Ingenieur steht vor neuen Herausforderungen. Er soll sich verständlich ausdrücken. Er soll nicht mehr wie ein Technokrat auftreten. Er soll ein Produkt erklären können – nicht nur im Falle von Bedienungsanleitungen oder technischen Dokumentationen. Aber wie schafft er das? Ein Weg ist, die Sprache in den Unternehmen zu kontrollieren. Dazu dienen Verständlichkeitsregeln, sie schaffen Klarheit. Mitarbeiter können an Schulungen teilnehmen. Schließlich müssen sie wissen, warum sie verständlich kommunizieren sollen und natürlich, wie sie dies erreichen können. So genannte style guides, gar eine Controlled Corporate Language, gibt es inzwischen immer häufiger in Unternehmen – auch zu dem Zweck, dass deren Ingenieure besser mit anderen Abteilungen und Kunden kommunizieren können. Auch damit sich keiner mehr vor einem Lunker fürchten muss. Denn schließlich schließt der ja nur Luft ein. Und das kann man doch so auch sagen.