Plausch am Ententeich. Was sich inzwischen zu einem Online-Krimi entwickelt hat, geht in die neunte Runde. Bild: Barbara Grosse
Drei Handlungsstränge, viele Fragen, ein Ziel. Der Kopf im Marbacher Online-Fortsetzungsroman scheint ein Geheimnis zu verbergen, zwei Frauen finden einen Helfer, für Torte fehlt Betty die Zeit und nur noch wenige Stunden bis zum Ablauf des Ultimatums. Noch wartet Harry ab.
Kapitel I: Der Riss
Von Daniel Grosse
…Betty und Birger gingen zur Bank am Ententeich zurück. Vielleicht käme ihnen ja dort eine Idee, so ihre Idee. Ein Mann goss Blumen. Gegenüber arbeitete er in seinem Garten, obwohl es schon spät war, beinahe Nacht. Der Garten gehörte zu einem roten Haus. Und in dem Kopf des Mannes drehte sich schon seit Stunden alles um diese eine Frage: Was waren das für seltsame Gestalten, die vorhin den Höhenweg hinaufgelaufen sind? Der Mann hob den Kopf, schaute zur Bank am Teich hinüber. In diesem Moment trafen sich die Blicke von drei Menschen.
Noch nie zuvor hatten Betty und Birger solch ein Gefühl empfunden. In dem Blick des Mannes lasen beide wie in einem Buch. Und das seltsame war, dass er sich auch nicht von ihnen abwendete. Schließlich wollte er doch seine Pflanzen und Blumen versorgen. Langsam gingen die beiden auf den Mann zu, überquerten die Brunnenstraße an der Stelle, wo sie zum Höhenweg wurde. Kann ich euch helfen? Aber nur, wenn ihr mir auch helft. Abgemacht? Diese zwei Fragen lasen Betty und Birger in den Augen des Mannes, der dort in seinem Garten hinter dem Zaun stand, eine rote Gießkanne in der Hand. „Sie haben heute etwas beobachtet oder gehört, nicht wahr?“, fragte Betty den Mann. „Und das beschäftigt Sie so sehr, dass Sie eh keinen Schlaf finden würden.“ „Wie kommst du darauf?“, erwiderte der Mann. „Es ist Ihr Blick.“ Mit dieser Antwort hatte der Mann nicht gerechnet. Er nickte. Erschöpft und verwundert setzte er sich auf einen grünen Schemel unter einem Busch. Im Hintergrund ertönte leise ein Windspiel. Eine buntes Gebilde drehte sich dazu. Ob sich gleich meine Frage klärt?, überlegte der Mann. Er wurde nicht enttäuscht. Und so kam es, dass sich in dieser Nacht drei Marbacher eine Stunde lang unterhielten. Dann: noch 65 Stunden. Aber der Mann im Garten wusste nun immerhin fast genauso viel wie der ältere Herr, der in diesem Moment mit weiß aufgerissenen Augen in einem alten Sessel saß. Vor sich einen Kopf, den ein feiner Riss entstellte. Vom linken Ohr quer über die Stirn verlief die gezackte Linie.
Nahe des Sellhofs wunderte sich währenddessen ein Zeitungsausträger, dass auf einer Bank neben einer Bushaltestelle zwei Frauen lagen, die zudem laut schnarchten. Zunächst hatte der Zeitungsausträger an Waschbären gedacht, war deshalb näher herangetreten. Da schnellten zwei kräftige Hände nach vorne, umfassten die Knöchel des Austrägers. Er verlor den Halt, wie es einem eben ergeht, wenn ihm jemand die Füße vom Boden wegzieht. Eine Sekunde später blickte der verdutzte, auf dem Boden liegende Mann, in zwei fremde Augen. Schmale Sehschlitze musterten ihn. „Was willst du?“, fragte eine Frau mit rot gefärbten Haarbüscheln auf dem Kopf. „Euch retten!“ Was für einen Unsinn redete er da bloß? Er wusste das, war aber immer noch ganz durcheinander. „Pass mal auf, mein Kerlchen“, drohte die Frau, „du kommst doch als Zeitungsausträger an vielen Häusern und Plätzen vorbei. Wenn du in der Marbach einen Kopf findest, meldest du dich bei uns. Ist das klar?“ Klar, dachte der Mann, der nur noch weg von hier wollte, fragte aber trotzdem: „Ihr meint doch nicht etwa einen menschlichen Kopf?“ „Blödsinn, sehen wir so aus?“ Dieser Typ da auf dem Boden langweilte Biene. Er nervte, konnte ihnen aber nützlich sein. Harry war schließlich unberechenbar. Biene holte tief Luft, musste ruhiger werden. Jetzt nur nicht ausrasten.
Bella war inzwischen aufgewacht und rülpste. Es stank. Der Alkohol von vorhin. Einfach zu viel, dachte sie. Sie merkte, wie sehr sich ihre Freundin zusammenreißen musste, um dem Zeitungsmännlein nicht noch mehr weh zu tun. Mit leiernder Stimme erklärte Bella dem Mann, dass es ein Frisierkopf war, den sie suchten, drückte dem Kerl einen Zettel mit einer Telefonnummer und den Namen Biene und Bella in die Hand – und sagte zu dem Austräger: „Jetzt verzieh dich!“ In der Dunkelheit verschwand ein Mann, der einen Handwagen hinter sich herzog, Richtung Gärtnerei. Auf einer Bank oberhalb der Marbach grinsten sich zwei Frauen an. Ein armlanger Zopf und rote Haarbüschel ruhten Sekunden später wieder auf dem Holz.
Der alte Mann konnte sich nicht entscheiden. Wenn er mit der Klinge eines Messers ganz vorsichtig den haarfeinen Riss auf der Stirn des Kopfes weitete, könnte er vielleicht hinein schauen. Denn da musste etwas sein. Aus dem Innern des Schädels strömte ein Geruch, für ihn völlig fremd. Nicht unangenehm, aber seltsam. Der Geruch hatte etwas Stechendes. Längst schon interessierte sich der alte Mann nur noch dafür. Die Kameratechnik war ihm egal.
…Fortsetzung folgt.