Archive for November, 2017

Für Marbacher ein Muss – Kinofilm Streiflicht irritiert und kommt gleichzeitig galant daher

Donnerstag, November 16th, 2017

Weich gezeichnet und überblendet, fast in der Anonymität verschwindend, agieren Thomas Rösser (rechts) und sein Streiflicht-Komponist Markus Metzler, auf der Bühne vor dem Glitzervorhang des Marburger Kinos „Studio“ im Capitol. Gleich beginnt der Film. Es ist Mittwochabend im gefühlt ausverkauften Kinosaal.     Foto: Daniel Grosse

Von Daniel Grosse

Eine Kurzkritik

Die gute Nachricht ist: Das alte Marbacher Europabad kommt in dem Film Streiflicht sehr gut weg. Die schlechte: dazu später. Gestern präsentierte der Macher, Regisseur und Drehbuchautor des Kinofilms, Thomas Rösser, im Marburger Kino „Studio“ eine weitere Vorstellung – eine Sonderveranstaltung.

So stiegen Rösser und der Komponist der Streiflicht-Filmmusik, Markus Metzler, gemeinsam vor Beginn auf die Bühne. In unterhaltsamer Wechselrede sprachen beide über die Entstehung der Musik. Dutzende Orchestermusiker machten diese letztlich erst möglich. Das Ergebnis: eine brillante Untermalung, Verstärkung und Begleitung dessen, was die Zuschauer auf der Leinwand zu sehen bekommen.

Und der Film selbst, das Visuelle? Ja, er ist gut. Streiflicht ist interessant. Langsam kommt er daher, tatsächlich, ganz so, wie Rösser ihn eingangs auch angekündigt hatte. Streiflicht erinnert an Filmkunst aus den späten 50ern, an die 60er. „Wenn die Gondeln Trauer tragen“, ist zu spüren. Dieser Film aus den 70ern mit Donald Sutherland wird als Thriller/Drama gelistet. Rösser macht es ebenso in seiner Werbung für sein Werk Streiflicht. Zufall? Das ist nicht entscheidend, wichtiger erscheint die Bildsprache, wie Streiflicht mit Farben spielt. Szenen sind mal optisch überzeichnet, fast grell, insgesamt aber sehr weich gehalten, matt. Sparsam waren die Macher beim Schnitt. Das tut gut, so folgt das Auge in aller Ruhe dem, was geschieht – oder eben nicht geschieht. Die Längen tun gut. Zehntelsekunden kurze Momente, in denen ETWAS aufblitzt, etwas Unheimliches, würzen den Film, ohne ihn doch wieder eher hektisch werden zu lassen.

Die Geschichte im Ganzen ist in sich logisch, wenn auch an zwei Stellen, nach dem erstmaligen Anschauen, irgendetwas nicht ganz stimmt. Vielleicht löst sich das beim mehrmaligen Betrachten auch auf. Und entpuppt sich als Irrtum des Kritikers. Nicht nur das Europabad kommt im Film gut weg. Marburger erkennen Dutzende markante Orte in der Uni-Stadt wieder. Besonders schön: der Eis-schleckende Hauptdarsteller in der Rolle des Wilko vor dem Café Klingelhöfer im Marburger Südviertel. Nur ein Beispiel.

Ja, Wilko. Und da kommt das Aber. Zumindest gleich. Wunderbar ist, dass Rolle und Schauspieler dem Betrachter Zeit geben, zu verstehen, was Wilko wie sagt. Das unterscheidet übrigens sämtliche Dialoge in Streiflicht auf angenehme Weise von denen, die in Sendungen wie „Tatort“ oder anderen Filmen, meist im Fernsehen, bisweilen ganz selbstverständlich, gesprochen werden. Und zwar schnell und undeutlich. Ganz anders also in Streiflicht. Auch Wilkos Mimik in Rössers Film ist klar, sie ist verständlich, unterstreicht das Gesprochene. Aber: Der Hauptdarsteller spricht seinen Text hölzern. Verzeihung. Vielleicht mag das ein Stilmittel des Films sein. Vielleicht ein Markenzeichen des Schauspielers, aber irgendetwas an der Rolle und dem Wilko-spielenden Menschen irritiert. Auf jeden Fall ist es seine Sprache, wie er Worte betont. Da fehlt die Lässigkeit. Liegt es am Schauspieler, an der Rolle des Wilko oder an dem Regisseur?

Insgesamt ist Streiflicht – und wieder ein Aber – aber ein ansprechender Kinofilm mit angenehmen Längen, der seine Betrachter galant durch Marburg und das Umland mitnimmt. Und für Marbacher ein Muss. Allein deshalb, weil viele dort Schwimmen gelernt, jede Wand- und Bodenfliese sowie die Treppe zur Schwimmhalle hinauf sicher noch exakt im Gedächtnis haben, weil sich viele bestimmt gerne ans Kassenpersonal, an andere Mitarbeiter und den Bademeister erinnern, wie er ohne Murren stets das Sprungbrett mal hoch, mal runter hat fahren lassen (war stufenlos verstellbar). Und der Film ist wichtig, weil das Europabad so wenigstens weiterhin sichtbar bleibt. Wenn auch „nur“ in einem Film.

Streiflicht jetzt im Kino – Thriller-Dreh im Europabad Marbach – Interview mit Regisseur

Donnerstag, November 9th, 2017

So kennen die Marbacher ihr Europabad aus vergangenen Zeiten. Das Drehkreuz, das Kassenhäuschen. Auf dem Bild zu sehen ist eine Szene aus dem Kinofilm Streiflicht – gedreht auch im ehemaligen Europabad. 2010. Es wurde entkernt. An gleicher Stelle steht heute ein schickes Wohnhaus. Erhalten blieb die runde Form des – ursprünglichen – Marbacher Wahrzeichens.   Foto: privat

von Daniel Grosse

Im Europabad in der Marbach geschehen seltsame Dinge, zumindest im Film Streiflicht von Regisseur Thomas Rösser. Das ehemalige Schwimmbad in dem Marburger Stadtteil war Teil der Kulisse beim Dreh vor sieben Jahren. Morgen startet der Thriller in Marburg auf großer Leinwand im Kino. Mit dem Filmemacher sprach ich über das Projekt und mailte ihm ergänzend Fragen. Heraus kam ein Interview. Dort verriet Rösser mir, warum er in der Marbach drehen wollte, weshalb er damals Angst hatte, wieso auch die Crew mutig sein musste und welches Projekt er nun plant.

Welchen Bezug haben Sie persönlich „zur Marbach“, wie wir unseren Stadtteil ja nennen?
Thomas Rösser:
1989 sind meine Eltern, mein Bruder und ich in die Marbach gezogen. Ich war 16. Meine Eltern wohnen dort weiterhin. Ein schöner Stadtteil, ich hatte tolle Jahre dort. Ich erinnere mich daran, dass es durch die Berge wirklich hart war, mit dem Fahrrad zur Schule zu kommen. Ich habe schon immer Sport gemacht, aber die Hohe Leuchte mit dem Fahrrad zu meistern, ist eine Herausforderung.

Warum haben Sie 2010 gerade im Europabad gedreht?
Rösser: Ich habe im Europabad schwimmen gelernt. Das große Sprungbrett war die Mutprobe schlechthin. Als wir den Dreh geplant haben, suchten wir ein altes Schwimmbad. Über drei Ecken erhielten wir die offizielle Genehmigung. Als wir die erste Besichtigung hatten, verschlug es mir fast den Atem. Es sah alles noch aus wie früher – nur ohne Wasser. Es roch sogar noch nach Chlor. Ich fand alte Schwimmflügel und Handtücher. Es war für mich sofort klar, dass es keine bessere Location geben würde.

Was geschah dort im Film – ohne natürlich zu viel vorab zu verraten?
Rösser: Das mache ich nicht, wobei es eine meiner Lieblingsszenen ist. Zunächst sollten die Leser wissen, dass wir einen Independent-Film produziert haben, ohne Filmförderung und doppelten Boden. Das aufgebrachte Budget reicht bei anderen Filmen gerade mal für das Catering. Im Film schleicht Wilko, gespielt von Michael Herrmann, durch die Umkleidekabinen, um dort dem Geheimnis des mysteriösen Gemäldes auf die Spur zu kommen. Das Bild scheint seine Besitzer zu bedrohen. In den Umkleidekabinen herrschte eine klaustrophobische Atmosphäre. Und das Ganze bei absoluter Dunkelheit zu passieren, erforderte schon etwas Mut, selbst für die Crew. Ich hoffe, ich konnte das im Film auch so einfangen. Denn ich hatte Angst.

Was war denn die Besonderheit bei dem Dreh?
Rösser:
Wir haben aufgrund der Verletzungsgefahr noch eine Extraversicherung abgeschlossen, da vor allem das Becken des Sprungturms sehr tief war. Wir hatten uns große Gedanken gemacht, dass dort jemand hineinfällt. Übrigens befindet sich die Dachluke, durch die Wilko in das Schwimmbad gelangt, nicht im Europabad. Ich muss in nächster Zeit mal dort vorbeischauen und mir die Wohnungen ansehen. Ich glaube, ich kann noch einiges vom Ursprünglichen erkennen.

Nun dürfen Sie gerne jemandem danken für die damalige Unterstützung in der Marbach. Wem?
Rösser:
Herrn Kappeller, dem damaligen Immobilieninvestor, für die offizielle Genehmigung und dem Tennisverein Europabad Marbach und Peter Penzler. Wir haben auf dem Parkplatz oberhalb des Europabades gedreht. Als Wilko mit seinem Auto das Schwimmbad erreichte, regnete es. Eine tolle Stimmung. Zwei Nächte später, als wir dort wieder drehten, war der Boden trocken. Wir bekamen Wasser zum Anfeuchten des Parkplatzes. Ist nicht wichtig, denken Sie vielleicht, aber für uns elementar, denn die Szenen folgen direkt aufeinander und der Zuschauer hätte es gesehen. Und falls es der Zuschauer nicht bemerkt hätte, hätte ich es gewusst – und ich hätte es immer gesehen.

Stichwort Marbach-Krimi. Kennen Sie eigentlich Birger und Betty, die beiden Marbacher aus dem Buch „Plausch am Ententeich“? Oder wissen Sie, wer Harry, der schreckliche Marbacher, ist?
Rösser:
Ja, wäre gelogen, aber ich habe schnell nachgesehen. Eine interessante Herangehensweise an einen Text. Ein schönes Weihnachtsgeschenk. Werde gleich ein Exemplar für meine Eltern bestellen. Das ist natürlich eine ganz andere Art, sich einer Geschichte zu nähern. Wir hatten für Streiflicht 13 Drehbuchfassungen und man ist nie zufrieden. Momentan schreibe ich an dem Drehbuch für „Der Gelbe Ballon“, eine sozialkritische Liebeskomödie.

Viel Erfolg und danke für das Interview.

Marbacher Grundschüler und ihr Stress – oder wie das heißt

Dienstag, November 7th, 2017

Anstrengend, gar stressig, wird es für Schüler, wenn ihre Welt auf dem Kopf steht.     Foto: Daniel Grosse

von Daniel Grosse

Stress kannten Grundschüler früher nicht, in den 80er-, 70er- oder 60er-Jahren. Das Wort Stress zumindest nicht. Sie fühlten etwas. Schule war vielleicht bisweilen anstrengend. Sie mussten lernen, Hausaufgaben machen, Lehrer zufriedenstellen – zusätzlich erfolgreich sein. Hinzu kamen Freizeit und Familie. All das war – auch – anstrengend. Zurück zur Begrifflichkeit. Damals wurde noch nicht gemobbt, sondern gehänselt. Und Schüler und ihr Stress? Stress? Wie nannte man das eigentlich vor 20, 30 oder 40 Jahren? Und fühlten die Schülerinnen und Schüler so wie die, die in den heutigen Grundschulen lernen?

Dazu, also zum Schulstress, hat heute Morgen die Techniker Krankenkasse eine Pressemitteilung verschickt. Auch an dieses Blog „Marbach direkt“. „Bleib locker!“, ist zu lesen, heiße es noch bis in den Dezember hinein für die vierten Klassen der Grundschule Marbach in Marburg. In einem speziellen Anti-Stress-Programm lernen Kinder verschiedene Entspannungsmethoden sowie Strategien, die ihnen helfen, stressige Situationen frühzeitig zu erkennen und zu bewältigen. Das für Grundschüler entwickelte Stress-Präventionskonzept „Bleib locker!“ sei ein Angebot der – na ja, der besagten Krankenkasse.

Scheinbar schließt das Anti-Stress-Konzept für die Grundschule Marbach eine Lücke. Bisher standen Projekte für mehr Bewegung, für Lehrergesundheit, bessere Ernährung und Gewaltprävention im Vordergrund. Mit diesem Engagement für die Kinder, Eltern und Lehrkräfte hat sich die Schule bereits voriges Jahr das Gesamtzertifikat „Gesundheitsfördernde Schule“ des Hessischen Kultusministeriums erarbeitet. „Das Projekt passt deshalb für unsere Schule gut in die Lücke unserer sonst sehr verzahnten gesundheitsförderlichen Angebote“, zitiert die Krankenkasse Beate Wagner-Nowicki, Schulleiterin der Grundschule Marbach. Gerade für die Kinder der vierten Klassen sei der Übergang zur weiterführenden Schule für viele mit Leistungsdruck und Stress verbunden, so Wagner-Nowicki, so komme der Kurs jetzt gerade recht und trage auch dazu bei, die Resilienz der Schüler zu stärken. Sie meint damit die psychische Widerstandsfähigkeit als Fähigkeit, Krisen zu bewältigen.

„Untersuchungen zeigen, dass schon Kinder im Grundschulalter unter Stress-Symptomen wie Schlafstörungen, Kopfweh oder Appetitlosigkeit leiden“, sagt Dr. Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvertretung Hessen. Das TK-Angebot wirke dem nachhaltig entgegen.

Aber was passiert da eigentlich konkret in der Marbacher Grundschule? Beim TK-Projekt „Bleib locker“ lernt der Nachwuchs in acht Einheiten à 90 Minuten effektiv mit Stress umzugehen und diesen wirksam zu bewältigen. Eigens geschulte Fachkräfte leiten das Präventionskonzept an. Das Programm ist ein Angebot für Grundschulen, die den Kindern der dritten und vierten Klassen gezielte Stressbewältigung ermöglichen wollen. Die Referenten setzen dafür im Unterricht verschiedenste Materialien ein: ein Arbeitsheft, in dem die Schüler beispielsweise einzeichnen, wo sie gegebenenfalls Schmerzen empfinden, wenn sie sehr angestrengt sind; außerdem eine kindgerecht aufbereitete CD mit Übungen aus der progressiven Muskelentspannung, bei denen die Schüler Muskeln bewusst an- und dann wieder gezielt entspannen. „Die CD wird von den Kindern sehr gut angenommen und auch gemeinsam mit den Eltern, Oma, Opa und anderen Kindern in der Familie gehört. In der Gruppe in Marburg gibt ein Drittel der Klasse an, die CD mehrmals in der Woche zu hören“, erzählt Sozialpädagogin Kerstin Itzenhäuser, von der Evangelischen Familien-Bildungsstätte in Marburg. Sie gehört zu dem Team, das „Bleib locker!“ an der Grundschule Marbach anbietet. Sie zeigt sich vom Konzept überzeugt: „Im Kurs hat sich sehr rasch eine vertraute Atmosphäre entwickelt. Die Kinder haben das Thema sehr gut angenommen, schnell belastende Situationen erkannt, diese benannt und selbst Lösungsideen entwickelt.“

Die Eltern werden des Weiteren durch einen Elternabend in den Kurs eingebunden und erhalten die Elternbroschüre „Kinder und Stress. Mehr Gelassenheit für Eltern und Kinder.“

Hintergrund:
Das Konzept „Bleib locker“ ist ein Anti-Stressbewältigungsprogramm und richtet sich an Kinder zwischen acht und elf Jahren. Es wurde in Kooperation der TK und der Philipps-Universität Marburg, unter Leitung von Prof. Dr. Arnold Lohaus, entwickelt und wissenschaftlich evaluiert. Prof. Lohaus ist heute an der Universität Bielefeld tätig, er ist allerdings weiterhin für die Ausbildung der Referenten des Programms zuständig.