Amnon Orbach: Marbach fühlt er sich verbunden

 

 

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Amnon Orbach in „seiner“ Synagoge    Foto: Daniel Grosse

Das Licht scheint durch die farbig verglaste Decke. In der Synagoge im Marburger Südviertel ist nur Amnon Orbach zu hören. Er steht, spricht zu einer Schülergruppe. Um die Tora und das Judentum geht es. Die Schüler erfahren viele Details: die aufgerollte Torarolle ist 60 Meter lang, aus Pergament gefertigt; gelesen wird sie nicht mit dem eigenen Finger, sondern mit einem kleinen Lesefinger; überwiegend Konsonanten sind dargestellt; der Text ist mit einer Feder ohne Metall geschrieben; fehlt ein Buchstabe, ist die Tora nicht mehr koscher. Die Gruppe verlässt die Synagoge.

Amnon Orbach setzt sich. Der 84-Jährige könnte nun viel erzählen. Aus seinem Leben, aus seiner Zeit in Marburg. Auch im Stadtteil Marbach hat der derzeit dienstälteste Vorsitzende einer jüdischen Gemeinde in Deutschland viele Jahre gerne gelebt, am Höhenweg. Nach wie vor ist Amnon Orbach Mitglied des Bürgervereins Marbach.

Doch heute geht es um eine große Ehre, die ihm zuteil wurde: Kürzlich hat Marburgs Oberbürgermeister Egon Vaupel Amnon Orbach im Rathaus zum Ehrenbürger der Stadt ernannt und bezeichnete ihn als einen „Mann des Friedens und der Religion“.

„Die Ehrung war eine totale Überraschung für mich“, sagt Amnon Orbach beim späteren Gespräch in der Synagoge. Und dann erzählt er doch aus seinem Leben, davon, wie er vor mehr als 30 Jahren von Jerusalem nach Marburg gezogen ist. Er berichtet von der provisorischen Synagoge, einem Betraum, damals am Pilgrimstein gelegen, wo heute ein Hotel steht. Und er ist sehr froh, in den drei Jahrzehnten, die er nun in Marburg lebt, in der Universitätsstadt noch nie Antisemitismus erlebt zu haben.

Als Sohn eines jüdischen Geschäftsmannes wuchs Amnon Orbach in Jerusalem auf, studierte in Haifa und arbeitete später als Ingenieur in der Industrie. Aus Liebe zu seiner späteren Ehefrau Hannelore kam er nach Marburg. Kennengelernt hatte Orbach sie, als sie als Touristin Israel bereiste. In Deutschland wurde er zunächst Repräsentant einer israelischen Firma, vermisste jedoch das Judentum. Deshalb suchte er Überlebende jüdischen Glaubens – und fand sie. Die Marburger Gemeinde wuchs. 1989 hatte sie ihren ersten Betraum am Fuß der Oberstadt. Aber erst viele Jahre später folgte das, was Amnon Orbach als sein Lebensprojekt bezeichnet: die 2005 geweihte neue Synagoge im Marburger Südviertel.

Einen Namen nennt Amnon Orbach im Gespräch immer wieder: Willy Sage, Gründer und Vorsitzender der Marburger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Ihm verdankt Amnon Orbach viel. Dem Mann, der ab 1978 gemeinsam mit dem Magistrat regelmäßige Besucherwochen für ehemalige jüdische Marburger organisierte. Willy Sage half Orbach, im gesamten Landkreis Juden zu finden.

Heute hat die Gemeinde 340 Mitglieder. Bibel- und Hebräischunterricht sowie Konzerte, Vorträge und Lesungen finden regelmäßig statt. Amnon Orbach ist gut befreundet mit dem Vorsitzenden der islamischen Gemeinde Marburgs, Bilal El-Sayat. Nun sucht Amnon Orbach auch die jungen Menschen für seine Gemeinde, spricht schon von Nachwuchssorgen. Immerhin liege der Altersdurchschnitt seiner Mitglieder bei 60 Jahren, sagt er. Und auch die Zukunft seines Schaffens möchte der 84-Jährige in guten Händen wissen. Nach all dem, was er in Marburg, nicht nur für die Menschen jüdischen Glaubens, geleistet hat.

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