Arbeit zwischen verkohlten Balken – Zeit für Gedankenspiele

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Vor dem letzten Schnee im März sind die ersten Stützbalken und -bretter neben den verkohlten Sparren im Dachstuhl des ausgebrannten Fachwerkhauses eingesetzt.     Foto: Daniel Grosse

Ein Kran hebt verkohlte Reste aus dem Bauch des Hauses heraus. Neue Balken, helle, verbauen Arbeiter seit einigen Tagen neben den verkohlten schwarzen. So die Szenerie. Im Dachstuhl der Brandruine in der Brunnenstraße tut sich etwas. Nach Monaten des Stillstands. Nun wird gesichert. Zu gefährlich ist der Verfall der einst imposanten Fachwerkvilla. Was dort geschieht, sieht derzeit zumindest nicht nach Abriss aus. Aber es muss sich zeigen, ob das Gebäude tatsächlich noch zu retten ist, ob das Haus künftig überhaupt dauerhaft gerettet werden soll. Nach dem verheerenden Flammeninferno in der Brandnacht Mitte August 2014. Im Lokalblog „Marbach direkt“ hatte ich damals darüber geschrieben und das Thema anschließend regelmäßig wieder aufgegriffen.

Auch in den gedruckten „Marbacher Nachrichten“ habe ich wiederholt über den Verfall und Niedergang des bereits im 19. Jahrhundert erbauten Fachwerkhauses in der Brunnenstraße berichtet. Auch aktuell. Denn: Es ist eines der ältesten Häuser Marburg-Marbachs, ein Kulturdenkmal. Längst schon glänzt das einst architektonische Schmuckstück nicht mehr. Was also wird daraus? Oder was könnte daraus werden? Zeit für Gedankenspiele: In Südhessen stehen im Freilichtmuseum Hessenpark historische Häuser verschiedener Jahrhunderte. Einst Balken für Balken am Standort abgebaut, errichteten die Handwerker sie im Hessenpark erneut für Besucher, die jedes Gebäude besichtigen können. Ein Gang durch die Geschichte.

Auch eine Alternative für die verkohlte Fachwerkvilla? „Leider wird eine Übernahme der genannten Villa in den Kontext des Freilichtmuseums und auf unser Gelände aktuell und ganz realistisch nicht zu realisieren sein“, teilte mir Carsten Sobik, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Parks, auf Anfrage mit. Gründe dafür seien unter anderem finanzieller Art, noch mehr als 100 lagernde Gebäude auf dem dortigen Gelände, der historische Blick des Museums auf eher mittlere und untere soziale Schichten und ein weiterer Grund für ein Nein des Hessenparks: der starke Brandschaden am Dach des Marbacher Fachwerkhauses.

Welche Lösungen bieten sich noch an, um ein solches Anwesen, ein Kulturdenkmal, wieder attraktiv und nutzbar werden zu lassen? Immerhin war und ist das Gebäude samt des Areals im Umfeld so etwas wie der Ortsmittelpunkt Marbachs. Grundsätzlich kann etwa die Deutsche Stiftung Denkmalschutz auch beim Wiederaufbau nach einem Brandunglück helfen – mit entsprechenden Spendenaufrufen. Beispiele sind die Dorfkirche, die Kirchenburg von Walldorf sowie Schloss Ehrenstein in Ohrdruf. Dies setzt jedoch immer einen entsprechenden Willen vor Ort voraus. „Als private Einrichtung können wir nur auf Antrag des Eigentümers aktiv werden“, so Ursula Schirmer von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Dass sich auch für schwierige, oftmals sogar schon zum Abriss freigegebene Denkmale Lösungen finden ließen, „wenn vor Ort Bürgerwille, politische Einigkeit und kreative Ansätze“ zusammenträfen, dafür, teilte mir Ursula Schirmer mit, gebe es viele Beispiele – von der ehemaligen Kirche in Strehlow bis hin zum ehemaligen Franziskanerkloster in Horb. „Bei stimmigen Konzepten steht die Deutsche Stiftung Denkmalschutz natürlich auch als Partner zur Verfügung.“

Ein solches Konzept könnte vielleicht so aussehen, dass das Objekt und Areal in der Brunnenstraße letztlich dem Gemeinwohl und den Bürgern nützt. Mit der Familie des Eigentümers gemeinsam zu überlegen, „wie man für die ganze Marbach eine angemessene Lösung finden kann“, ist ein Weg, den sich zum Beispiel die Marburger Kommunalpolitikerin Tanja Bauder-Wöhr vorstellen kann. Sie präsentiert einen ganzen Strauß an Ideen: eine Vermietung als Wohnfläche, der Umbau in Arztpraxen, Kanzleien, Büro- oder Verwaltungsräume. Vorstellbar ist ihrer Ansicht nach auch eine Fördervereinsgründung, bei der sich nicht nur Liebhaber des Kulturdenkmals gemeinsam zusammentun könnten, um Ideen zu sammeln. Aber: „Auch hier wäre die Einbeziehung der Familie wünschenswert“, so Tanja Bauder-Wöhr. „Naiv gedacht könnte hier Raum für ein kleines Museum geschaffen werden.“ Das sollte sich dann dem Bereich eines Fachwerkhauses annehmen und der Stadtteilentwicklung sowie der historischen Bedeutung der Marbach.

Und warum nicht eine kulturelle Begegnungsstätte mit Bibliothek, Café und anderem an dem Standort entstehen lassen? Tanja Bauder-Wöhr sieht für einen Förderverein „Schutz des Fachwerkhauses“ eine mögliche Aufgabe darin, aus dem Gebäude ein kleines Hotel zu machen. Immerhin sei Marburg attraktiv für Touristen. Sollte die Liegenschaft in städtisches Eigentum übergehen, seien ähnliche Überlegungen denkbar.

Dann müsste die Stadt an dem Erwerb des verbrannten Gebäudes und dem Gelände entlang der Brunnenstraße aber überhaupt interessiert sein. Zumindest wurde laut Amtsgericht die Zwangsverwaltung vor dem Hintergrund aufgehoben, dass der Antrag zurückgenommen worden war. Ob es ein weiteres zu eröffnendes Zwangsversteigerungsverfahren in dieser Sache geben wird, „bleibt abzuwarten“, hieß es kürzlich.

„Momentan gehe ich nicht davon aus, dass die Stadt bei einer Zwangsversteigerung Teile des Vermögens ersteigern möchte”, teilte Marburgs Bürgermeister Franz Kahle auf Anfrage mit. Hintergrund war die Frage, wie er die Alternative sieht, dass die Stadt das Gebäude, gar das gesamte Grundstück entlang der Brunnenstraße, “übernimmt” und einem Nutzen zuführt. Vielleicht sogar so, dass das Objekt auch dem Gemeinwohl, den Bürgern, nutzen könnte. Dass also die Stadt bei einem eventuellen Verkauf – sollte es tatsächlich irgendwie dazu kommen – als Erwerberin auftritt, ist derzeit wohl reine Spekulation und bleibt abzuwarten.

Zumindest hatte der Magistrat beschlossen, dass das Haus im Wege der Ersatzvornahme provisorisch zu sichern sei. Damit war der Weg grundsätzlich frei, um das auch durch den Brand stark beschädigte Fachwerkhaus in der Brunnenstraße gegen weiteren Verfall zumindest zu sichern.

Der Bürgersteig könnte dann natürlich erst wieder freigegeben werden, wenn keine Gefahr mehr besteht. Dies sei, “hoffentlich nach Abschluss der provisorischen Sicherung in circa sechs bis acht Wochen der Fall”, hieß es Ende Februar. Im Fall der “hoffentlich folgenden notwendigen Sanierung durch einen Erwerber” müsse der Gehweg wahrscheinlich wieder in Anspruch genommen werden, ist aus dem Marburger Rathaus zu hören. Sprich: Dann wird wohl ein Zaun erneut sichern – und leider Passanten erneut behindern.

Und was hat sich ermittlungstechnisch wegen des Brandes von Mitte August 2014 inzwischen ergeben? Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, der Verdacht einer Brandstiftung könne nicht ausgeschlossen werden. Bei Brandsachen könnten die Ermittlungen lange dauern, lautetet kürzlich die Auskunft der Marburger Staatsanwaltschaft.

Nun ist das Fachwerkhaus ja auch behördlicherseits als stark einsturzgefährdet eingestuft worden, weshalb Ursachenermittlungen und eine eventuelle Tätersuche nach Brandfällen grundsätzlich schwierig sein können. Ist also die Einsturzgefahr des Gebäudes in der Brunnenstraße 15 einer der Gründe für die bislang bereits mehr als siebenmonatige Ermittlungsdauer in dieser Sache? Oder hat das gänzlich andere Gründe?

Ein unbeteiligter Brandschutzexperte und ehemals langjähriger Leiter des Fachbereichs Brandursachenerforschung im Kriminalwissenschaftlichen und -technischen Institut des Hessischen Landeskriminalamtes hat mir – ohne den konkreten Fall zu kennen – unter anderem erklärt: Grundsätzlich können Probleme auch daraus resultieren, dass ein Brandobjekt einsturzgefährdet ist und erst nach aufwändigen Sicherungsarbeiten betreten werden kann. Sogar zu erheblichen Verzögerungen kann es kommen, wenn sich an die eigentliche Brandstellenuntersuchung Folgeuntersuchungen anschließen – beispielsweise von Brandschutt zum Nachweis flüssiger Brandlegungsmittel. Je nach Labor kann das dann Wochen dauern. Zeitaufwändig sind nach Ansicht des Experten auch mögliche spezielle chemische oder metallurgische Untersuchungen. Auch all das braucht Zeit, um abschließende Aussagen allein zur Brandursache machen zu können.

Viele Fragen bleiben also noch unbeantwortet: Wer oder was ist für den Brand verantwortlich? Ist das Gebäude heute tatsächlich noch zu retten? Soll die Fachwerkvilla künftig überhaupt dauerhaft gerettet und erhalten, gar genutzt werden? Und wenn ja, von wem? Was würde das kosten? Oder doch ein Abriss?

Mehr dazu in Kürze bei „Marbach direkt“.

Ihre Meinung interessiert mich sehr! info@dgrosse.de

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