Graffiti – Ein Thema für die Documenta in Kassel?: Wenn sich Kunst und Kriminalität Guten Tag sagen

Graffiti – Ein Thema für die Documenta in Kassel?: Wenn sich Kunst und Kriminalität Guten Tag sagen

Graffiti: Ein Kreativitätsdelikt mit unterschiedlichen Konsequenzen (aus: Monatszeitung Uptown, April 2010)

Von Daniel Grosse

 

„Vorsicht vor kalifornischen Hauswänden. Nicht anfassen. Nicht gestalten.“ So müssten Schilder im Sonnenstaat der USA eigentlich warnen. Hat doch die kalifornische Regierung ein neues Anti-Graffiti-Gesetz verabschiedet. Verurteilte Graffiti-Sprayer müssen ihre Werke wieder reinigen. Nicht nur das. Das Gesetz verpflichtet die Sprayer für ein Jahr, die Flächen von anderen Graffiti zu säubern.

Deutsche Behörden verschonen die Maler bislang noch mit solch Schinderei. Um das Thema kümmert sich das Strafrecht, zum Beispiel in den Paragrafen 303 und 304 des Strafgesetzbuchs. Mit ihnen gerät in Konflikt, wer illegal an Hauswänden, Brücken, Schildern oder sonstwo aktiv waren. Sei es mit bunten Malereien oder mit einfachen Tags, den persönlichen Signaturen der Graffitimaler.

Der Gesetzgeber regelt im Paragraf 303: „Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert. Der Versuch ist strafbar.“

 

Was steckt dahinter? Seit 2005 gibt es die neu gefassten Sachbeschädigungsparagrafen. „Zuvor waren Graffiti nur dann eine Sachbeschädigung im strafrechtlichen Sinn, wenn dadurch eine Substanzverletzung eingetreten war – und sei es durch die notwendige Reinigung“, teilt das Landeskriminalamt Berlin mit.

 

Patrick Gau aus Dortmund ist Graffiti-Experte, Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Im Graffiti-Buch „Gleisläufer“ erklärt er, bei Graffitis könne man in aller Regel im Falle einer Verurteilung mit einer Geldstrafe rechnen.

 

Und wann ist eine Veränderung, wie im Gesetz erwähnt, nicht mehr „unerheblich“? „So richtig raus ist das noch nicht, da die Gesetzesbegründung hierzu wenig hergibt. Man muss also auf die hierzu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen zurückgreifen“, sagt Gau im Gespräch. Er nennt ein Beispiel: Das Oberlandesgericht Hamm habe die Ansicht vertreten, dass der Reinigungsaufwand entscheidend für die Frage sei, ob eine Veränderung als „erheblich“ im Sinne des Paragraphen 303 Absatz 2 Strafgesetzbuch einzustufen sei. „Fällt der Aufwand für ein weiteres ‚Tag‘ im Rahmen der Gesamtreinigung nur noch unerheblich ins Gewicht, sei keine ‚erhebliche‘ Veränderung des Erscheinungsbildes mehr gegeben“, so Gau. Er vertritt hingegen die Ansicht, dass ein Graffiti dann eine nur noch „unerhebliche Veränderung“ darstelle, wenn es weder durch seine Größe noch durch seine besondere Qualität in Farbe oder Form für einen objektiven Dritten besonders auffällig sei. „Ein Beispiel: Ein schwarzes Edding-Tag auf einer mit schwarzen Edding-Tags übersäten Tür fällt niemandem auf – die äußerliche Veränderung ist unerheblich“, sagt der Strafverteidiger Gau.

 

Es geht also um ganz praktische Fragen wie: Sollten Graffiti-Aktionen nicht doch allesamt legalisiert werden? Wie steht der Staat dazu? Eine Antwort liefert das Strafgesetzbuch. Eine andere der Jurist Gau: Einige Sprüher hätten ihm erzählt, dass man in Brasilien am helllichten Tage malen könne – also machten sie es dort. „Würde man theoretisch in Deutschland sämtliche Wände als bemalbares Allgemeineigentum betrachten, würden wohl nur noch die wenigsten Maler nachts sprühen gehen.“

 

Das ist Zukunftsmusik. Zumindest jedoch könnte sich die Graffiti-Rechtsprechung mittelfristig einpendeln und weniger Fehler bei der Anwendung der Paragrafen machen. Es wird eine Einzelfall-Rechtsprechung entstehen, die herausarbeitet, wann eine Veränderung erheblich, dauerhaft und unbefugt ist. Das jedenfalls erwartet Graffitianwalt Gau. Er befürchtet zudem, dass Gerichte den vorgegeben Strafrahmen verschärft ausschöpfen werden. Denn bei Graffiti sei oft die Rede von Millionenschäden. Er habe beobachtet, die Gerichte neigten allmählich dazu, „abschreckende Exempel statuieren zu wollen“.

 

Der Markt bietet immer raffiniertere Reinigungsmethoden. Schutzschichten sollen gar verhindern, dass die Farbe der Sprayer auf Stein oder Putz der Hauswände durchdringt. Langfristig könnte sich also die Frage stellen, ob Tags und Bilder bei schnell zu reinigenden Fällen überhaupt noch „erheblich, dauerhaft“ verändern. Ein Weg in die Legalität?

 

Jedenfalls ist nach Ansicht Gaus Graffiti das einzige Kreativitätsdelikt im Strafgesetzbuch. Man werde bestraft, weil man sich Gedanken über Worte mache und diese Gedanken mit Farbe auf einen Gegenstand auftrage. Das sei für den einen oder anderen sicher ärgerlich. Dass der Sprayer für die Säuberung der besprühten Wand aufkommen muss, sei auch in Ordnung. Aber Graffiti sei keine Straftat und schon gar keine, die hinsichtlich der Strafandrohung im selben Atemzug wie sexueller Missbrauch genannt werden sollte.

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