Archive for the ‘Soziales’ Category

Bevor der Förderzug davon rast

Dienstag, Februar 10th, 2015

Kommentar und Hintergrund zur Frühförderung – von Daniel Grosse:

Der Vortrag eines Neurobiologen hatte die Mutter überzeugt. Eine Kernaussage lautete, dass das muttersprachliche Zentrum durch frühes Lernen angeregt werde. Über eine Annonce fand sie dann vor rund zehn Jahren eine Spanisch-Studentin. Zugang zu fremden Sprachen sollte ihre kleine Tochter so finden. Die Kleine war damals zwei Jahre alt. Mit zwei befreundeten Müttern und deren Kindern traf sich die Runde fortan wöchentlich. Sie bastelten, sangen, Spanisch sollte so den Zweijährigen spielerisch vermittelt werden. Das war zumindest der Plan. Aber er ging nicht auf.

Der Spanisch-Unterricht hat sich nicht gelohnt, stellt die Mutter heute fest. Was war schief gelaufen? Wo doch frühe Förderung von Kleinkindern eigentlich so wichtig ist und einfach gehen könnte – meint man. Die Lösung wäre gewesen: jeden Tag lernen. Nur einfach basteln, reicht nicht. Aber ist das gesund? Für so Kleine?

Frühförderung ist nicht gleich Frühförderung

Zwei Worte in eine Internetsuchmaschine eingegeben, und nach 0,29 Sekunden findet das System 64.900 Ergebnisse. Die Suche nach „Frühförderung“ und „Kleinkinder“ liefert natürlich auch die Treffer, die sich auf Angebote für Kinder beziehen, deren Sinne oder der Körper tatsächlich beeinträchtigt sind, deren Seele oder Geist Hilfe benötigen. Aber deren Förderung ist hier nicht das Thema. Vielmehr geht es um die kleine Geige, um Mandarin, um mathematische Frühförderung zum Erlernen des Zahlenraums 0 bis 10, um Early Learning Center, aber auch um allzu verbissenes Abklappern von Pekip, Pikler, Babyschwimmen, Kinderyoga, Krabbel- und Kontaktgruppen, Kleinkindturnen zu Musik und ohne. Es geht um das, was Kindern gut tut – und um das, was Eltern befriedigt.

Ausnahme Wunderkind

Eine, die schon das Potenzial der 0- bis 2-Jährigen erkannt hat, ist Helen Doron. In ihrer „bunten Welt mit warmen Farben und bunten Materialien“, vertrauen Eltern seit knapp 30 Jahren auf die Helen Doron-Methode, ist zu lesen. „Mit ihr wenden die Kinder jeden Alters Englisch intuitiv an, ganz ohne Stress und das schulische Pauken“, schreibt sie. Und dabei sei es egal, in welchem Alter ein Kind zu ihr komme, es könne jederzeit in einen der Kurse einsteigen.

Mit dem richtigen Alter, um etwa mit dem Geige-Spielen anzufangen, beschäftigt sich Nils-Christian Engel auf seiner Seite violinorum.de und meint: „Wer sein Kind also erst im Grundschulalter zum Geigenunterricht schickt, muss kein schlechtes Gewissen haben – nicht zuletzt ist eine gute musikalische Früherziehung und viel Singen zu Hause und im Kindergarten auch als Vorbereitung für den Geigenunterricht äußerst nützlich.“ Wenn es stimmt, dass David Garrett mit drei erstmals spielte, seine erste Geige mit vier Jahren bekam, ebenso wie Hilary Hahn, oder Anne Sophie Mutter mit fünf, dann hat sich das für die Kinder heute gelohnt. Immerhin sind sie Stars geworden, berühmt und wahre Virtuosen ihres Fachs. Ob ihnen das Frühfördern bekommen ist, ihnen gut tat, bleibt fraglich. Immerhin wich David Garrett von seinem vorgezeichneten Weg zunächst ab. Mit 17 verlor er er seine Leidenschaft für die Musik. „Von einer Sinnkrise gepackt, fühlte er sich fremdbestimmt, gedrängt in ein Leben außerhalb seiner Generation“, heißt es in Medienberichten. Gegen den Willen der Eltern und seiner Plattenfirma zog er nach dem Abi nach New York. Das Ziel: eigene Wege gehen. Das Musikstudium folgte, selbst finanziert. Dort, so heißt es, erkannte er endgültig, dass er sich ein Leben ohne Geige und Musik nicht vorstellen könne.

Ein Test hilft

Geht es dort um einzelne Wunderkinder mit Ausnahmetalent, hat sich das frühe Kümmern längst schon zum Massenphänomen entwickelt. Frühförderung in jeder Form ist heute trendy. Vor allem die Vorschulkinder stehen im Fokus. Chemiekästen für Kleinkinder, Chinesisch in Kitas, Kinder-Unis für Grundschüler nennt Autor Salman Ansari beispielhaft als Mittel der Wahl und wendet sich sogleich gegen eine Akademisierung der Kindheit. „Rettet die Neugier“ lautet sein Appell und der gleichnamige Titel eines seiner Bücher. Kaum ein Elternpaar – zumindest nicht im bürgerlichen Milieu -, das seinen Nachwuchs nicht an irgendeinem Zeitpunkt in den frühen Jahren für hochbegabt und daher besonders förderungsbedürftig hielte, so Ansari. Chance und Gefahr zugleich ist, dass die Entwicklung von Kleinkindern abhängig ist von den Einstellungen, Überzeugungen und Entscheidungen der Erwachsenen, die für sie verantwortlich sind.

Zum Stichwort „naturwissenschaftliche Bildung in Kitas“ ein Test. Stellen Sie einem Kind dort Fragen wie: Brauchen Astronauten einen Raumanzug? Warum schwimmen Eisschollen auf dem Wasser? Wieso fliegt ein Ballon? Warum fällt der Mond nicht herunter? Wieso steigen Bläschen in der Limonade auf? Warum wird ein Hühnerei beim Erhitzen hart? Wenn sich schon Studenten der Physik, Chemie und Biologie im fortgeschrittenen Semester mit diesen Fragen schwer tun, wie Ansari beobachtet hat, dann fragt sich doch, was solche Fragen in der Kinderwelt zu suchen haben. Die Kleinen werden sie den Erwachsenen sicher nicht stellen, weil die Fragen schlicht keinerlei Bezug zu ihrer kindlichen Erfahrungswelt haben.

Talente durchaus fördern

Auch Psychologen fragen provokativ: Welches Motiv steckt dahinter, Kinder so früh wie möglich mit Fremdsprachen, Geigenunterricht und Malkursen zu konfrontieren? Geht es um eine Art Selbst-Schmückung mit besonderen Fähigkeiten des Kindes? Oder um die Angst, dass das Kind in unserer Leistungsgesellschaft nur mit ‚besten Voraussetzungen‘ bestehen kann? Nichts spricht wohl dagegen, wenn ein Kind in einem mehrsprachigen Umfeld die betreffenden Sprachen erlernt. Ebenso entwickeln Kinder in musikalischen, sportlichen oder anderweitig talentierten Familien schon früh ein Interesse an diesen Fertigkeiten. Allerdings sollten bei besonderen Förderbemühungen der familiäre Lebenskontext, die altersgemäßen Bedürfnisse und die Persönlichkeit des Kindes beachtet werden. Der psychologische Ansatz: Eltern sollten sich und ihr Kind nicht verbiegen. Also keine Förderung am eigentlichen Kind vorbei oder aus ’schräger‘ Motivationslage der Erziehenden.

Und Eltern sollten sich vielleicht klar machen: Die gesamte Entwicklung im Kindes- und Jugendalter ist durch enorm schnelle Veränderungen und Umbrüche gekennzeichnet. Das heißt, dass zwischen dem Entwicklungsstand von Zwei- bis Dreijährigen gegenüber Fünf- bis Sechsjährigen auf kognitiver, sozial-emotionaler sowie sprachlich-kommunikativer Ebene bereits Welten liegen.

Kraft des freien Spiels

Vielleicht hat Förderung auch etwas damit zu tun, Kinder dort zu lassen, wo sie schon sind. Weniger ist mehr. So stellen Erzieherinnen fest: Förderung ist, wenn man die Kinder annimmt, wo sie stehen. Es ist gut, jemanden anzunehmen, wie er ist. Die Bedürfnisse des Kindes seien zu achten, dazu genüge es oftmals schon, das Kind einfach „wohlwollend zu beobachten“, heißt es aus Erzieherkreisen. Dahinter steht ein zentraler Gedanke: Kleinkinder sollen spielen. Das Spiel hat einen Bildungsaspekt, der sich der Tendenz zur Verschulung und Wissensvermittlung im Kindergarten entgegenstellt.

Dazu dürfen die Kleinen das freie Spiel aber nicht verlernt haben, ab-erzogen bekommen haben. Wenn Kinder nicht mehr in der Lage sind, einfach für sich zu sein, überbehütet, verwöhnt und unengagiert sind, läuft etwas schief. Dann schwirren Helikopter-Eltern um ihre Kleinen herum, oftmals schon dem Förderwahn verfallen. Und es wird Zeit, zu fragen: Überfordern wir heutzutage unsere Kinder? Wo früher auf den Baum geklettert wurde, wird heute Frühenglisch gelernt – warum?

Das Tempo drosseln

Eltern müssen lernen, dass ihr Kind für alles seine eigene Zeit braucht. Eltern sollten dabei auf das Tempo ihres Kindes achten. Nichts zu übertreiben, scheint wichtig zu sein.

Literaturtipps:

Lasst die Kinder spielen, Herausgeber Albert Vinzens, Verlag Freies Geistesleben, 2011, 256 Seiten

Helikopter Eltern, Josef Kraus, Rowohlt Verlag, 2013, 221 Seiten

Rettet die Neugier, Salman Ansari, S. Fischer Verlag, 2013, 224 Seiten
Erkenntnisse zur Frühförderung von Kindern der Mittelschicht
Studie der Universität Freiburg:
http://www.unifr.ch/news/de/9516/

Daniel ist wütend – Büroalltag in der Firma – Sehenswert im Theater

Freitag, März 21st, 2014

„Warteraum Zukunft“ – eine Kritik von Daniel Grosse

Daniel ist wütend. Der mittel-gescheitelte, gefrustete Ingenieur Daniel Puttkamer sitzt im Warteraum Zukunft, einem Theaterstück von Oliver Kluck. Daniel brüllt, marschiert über Tische und Stühle, schimpft, spritzt Wasser über die Zuschauer. In seiner Erregung kann er kaum den Becher halten. Alles nervt ihn. Sein Job, der schon morgens beginnt, wenn er im Auto sitzt und diese blöden Radiosendungen hört. Ach, wieder ein Stau. Schon wieder ein Krieg. Schon wieder ein politischer Skandal. Und dann noch die tollen Hits aus den vergangenen Jahrzehnten. Aaaah! 140 Kilometer Fahrt pro Tag sind einfach zu viel. Und später in der Firma: Frank, Klaus, Heiner, Peter, Carsten haben eigentlich keine Namen. Sie sind die Kollegen „ach was weiß ich wie, oder so ähnlich“. Sie sind im Grunde gesichtslos. Nummern, bloße Funktionsträger in einer düsteren Arbeitswelt. Wo nur der blanke Busen der Kollegin am Kopierer oder der neu eingeführte Bierausschank in der Kantine den Arbeitsalltag erhellen.

Die Zuschauer durchleben mit Daniel einen ganz normalen Tag, der mit den unseren Tagen viele Berührungspunkte hat: Fluchtphantasien im Pendlerstau, Kantine, Post, Tagesplanung, Termin beim Chef, Mittagspause, Personalversammlung, Feierabend, zum Abschluss eine dumpfe Feier mit Suff, Schlagern und Stereotypen. Und die Beschreibung im Programmheft zu „Warteraum Zukunft“ übertreibt nicht.

Beim Zuschauer beschleunigt der Herzschlag, denn der Zuschauer sitzt mitten drin. Die Darsteller hinter ihm, vor ihm, über ihm. Eine mobile Kamera transportiert zusätzlich Bilder des Theaterstücks auf eine riesige Leinwand. Gefangen in Gestik und lautem Gebrüll sitzen die Zuschauer mit im Büro, in der Firma des Daniel Puttkamer. Versetzen will ihn sein Chef, nach Rumänien. Wo ist er hier nur gelandet, sicher war damals sein übermächtiger Vater daran schuld, das er so geworden ist, was er nun ist: ein total hyperventilierender, hysterischer, genervter und frustrierter Angestellter in einer geistig des Irrsinns entfesselten Unternehmenswelt. Daniel ist wütend – und hilflos.

Zu der gelungenen Inszenierung tragen nicht zuletzt auch die wunderbaren Darsteller-Kollegen des gespielten Daniel Puttkamer bei. Und die Statistin aus dem Publikum. Während der gesamten 75 Minuten Spielzeit läuft sie inmitten der Szenerie auf einem Laufband. Und fällt dann plötzlich völlig erschöpft auf den Boden. Regungslos. Tot? Bitte anschauen und mehr erfahren im „Warteraum Zukunft“, präsentiert vom Hessischen Landestheater Marburg. Sehenswert!

Hauptsache verständlich – Barrierefreiheit im Internet öffnet Türen

Freitag, Februar 14th, 2014

Barrierefreie Internetseiten und Texte kann jeder schnell erfassen. Alle Leser, egal ob sehend, blind oder sehbehindert. Was das ganze mit Google, verschachtelten Nebensätzen, Schriftsprache, HTML und dem roten Faden zu tun hat?

Wie Schriftsprache aussehen sollte, damit auch Menschen mit Behinderung sie auf Internetseiten verständlich wahrnehmen können, erklärt Jan Eric Hellbusch, Autor und Berater für barrierefreies Webdesign.

Unterscheidet sich geschriebene Sprache auf barrierefreien Internetseiten von der Sprache auf herkömmlichen Seiten?

Jan Eric Hellbusch: Das sollte sie nicht, denn eine barrierefreie Sprache ist eine verständliche Sprache. Natürlich gibt es Fachtexte und andere komplexe Dokumente, die ihrem Wesen nach abstrakt oder nicht für jeden verständlich sind. Solche Texte sind aber meist nicht speziell für das Web geschrieben. Wer für das Web schreibt, schreibt kurz und prägnant, verwendet einfachere Formulierungen und achtet auf eine gute Gliederung der Texte.

Was ist noch wichtig?

Hellbusch: In Sachen Barrierefreiheit dürfen Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht vernachlässigt werden. Hierzu gibt es besondere Anforderungen an die Verständlichkeit, etwa die Bereitstellung von Glossaren für schwierige Wörter oder die Anreicherung von Texten mit ausdrucksvollen Symbolen. Solche Aspekte betreffen aber eher Konzept und Gestaltung eines Webauftritts. Wie für alle Leser kommt es auch bei Menschen mit Lernschwierigkeiten auf eine gute Verständlichkeit der Texte selbst an.

Welche Struktur sollten Texte denn haben?

Hellbusch: Die Struktur von Texten ist ein wichtiger Aspekt der Gliederung. Es geht dabei um die Verwendung von Überschriften und Zwischenüberschriften genauso wie die Verwendung von kurzen Absätzen oder von Listen für Aufzählungen. Diese Strukturmerkmale eines Textes helfen dem Leser wesentlich bei der Bildung eines Textmodells. Gerade im Web sollte aber auch mit Übersichten gearbeitet werden. Vorangestellte Vorstrukturierungen eines Textes helfen genauso bei der Textmodellbildung wie abschließende Zusammenfassungen.

Und was meinen Sie mit „einfachen Formulierungen“?

Hellbusch: Ich möchte mit einer Gegenfrage antworten: Sind alle Begriffe in Ihrem Text auch solche, die eine beliebige Nutzerin oder ein beliebiger Nutzer bei Google eintippen würden? Das Web ist kein spezialisiertes Forum, wo sich nur Fachleute einfinden. Wer Inhalte ins Web stellt, so nehme ich an, will auch gefunden werden. Deswegen sind geläufige Begriffe ein wichtiges Kriterium für barrierefreie Texte. Der Assoziationswert von bekannten Wörtern ist höher als bei unbekannten Wörtern und deswegen leichter zu verstehen; meist sind kurze Wörter auch bekannte Wörter. Gleiches gilt auch für konkrete Begriffe, wobei die Unterscheidung zwischen „konkret“ und „abstrakt“ nur schwer festgelegt werden kann. Es sieht beim Satzbau ähnlich aus: Viele Menschen möchten Inhalte überfliegen, wesentliche Aussagen erfassen und danach zum nächsten Text fliegen. Lange Sätze, viele verschachtelte Nebensätze und ein fehlender roter Faden fordern höhere Konzentration und führen dazu, dass Texte nicht zu Ende gelesen oder gar nicht richtig verstanden werden. Deshalb lautet die Devise, Sätze kurz zu halten und möglichst nur einen Gedanken pro Satz zu verfolgen.

Wann überfordern Webtexte vor allem Blinde und Sehbehinderte?

Hellbusch: Diese sind zwei sehr unterschiedliche Nutzergruppen. Blinde verwenden eine Sprachausgabe oder eine Braille-Zeile um Inhalte zu lesen und den Computer zu bedienen. Sehbehinderte arbeiten hingegen am Bildschirm und verwenden dabei Vergrößerungssysteme oder verändern die Bildschirmeinstellungen, je nach ihren individuellen Anforderungen. Gerade in der Sprachausgabe können Texte mit vielen Abkürzungen und/oder Fremdwörtern zu einem Problem werden, denn diese werden so von der Sprachausgabe gelesen, wie sie auf dem Bildschirm stehen. Es ist deshalb wichtig, dass solche Textteile entsprechend mit den dafür vorgesehenen HTML-Elementen ausgezeichnet werden. Überhaupt spielt HTML für blinde Nutzerinnen und Nutzer eine wichtige Rolle.

Warum?

Hellbusch: Die Technik zur Auszeichnung von Überschriften, Absätzen, Listen oder Tabellen ist essentiell für die Erfassung von Texten im Web. Großer fetter Text wird erst dann als Überschrift erkannt, wenn er tatsächlich mit einem HTML-Überschriftenelement ausgezeichnet wird. Solche Aspekte haben weniger mit dem Schreiben selbst, sondern mehr mit der Standardkonformität des Internetauftritts zu tun. Für Sehbehinderte liegen die Probleme oft im gestalterischen Bereich. Durch den Einsatz von Vergrößerungssystemen ist oft nur ein kleiner Teil des Bildschirms sichtbar. Wenn die Gestaltung der Internetseiten horizontales Scrollen erzwingt, dann ist flüssiges Lesen kaum noch möglich.

So etwas wie ein Fazit?

Hellbusch: Insgesamt gilt für Sehbehinderte wie für Blinde und für viele andere Nutzerinnen und Nutzer, dass kurze Absätze und eine gute Gliederung mit Überschriften und anderen Elementen die Lesbarkeit fördern. Das, was technisch für eine Sprachausgabe erforderlich ist, ist für das Lesen am Bildschirm ebenso förderlich.

Interview: Daniel Grosse

Fachanwalt für Seniorenrecht oder für Ältere

Dienstag, Juli 17th, 2012

Fachanwalt für Seniorenrecht oder für Ältere – von Daniel Grosse

In der Rechtsanwaltschaft haben immer mehr Kollegen den Schwerpunkt „Seniorenrecht“. Noch existiert zwar keine Fachanwaltsbezeichnung gleichen Namens. Wird aber kommen. Da bin ich mir sicher. Klar, die demographische Entwicklung etc. macht das Seniorenrecht immer bedeutender. Der Altersaufbau der Gesellschaft ändert sich schnell. Zumindest, wenn man den Experten glaubt.

Die Anwaltskollegen betten das Thema „Seniorenrecht“ ein in die Spezialisierung zum Fachanwalt für Familienrecht und Fachanwalt für Sozialrecht. Wie wahrscheinlich ist es, dass es künftig, in naher Zukunft, die Fachanwaltsbezeichnung „Seniorenrecht“ in Deutschland geben wird? Oder gibt es etwa bereits konkrete Pläne, Bestrebungen, in Sachen „FA Seniorenrecht“? Wird es eine Fachanwaltschaft für Seniorenrecht oder für das Recht der Älteren in Deutschland geben?

Die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer als das so genannte Parlament der Rechtsanwaltschaft hält es zumindest für seine Pflicht, sich möglichst mit jedem Vorschlag für die Schaffung einer neuen Fachanwaltschaft zu befassen. Voraussetzung sei allerdings, heißt es, dass dem Ausschuss dabei ein nachvollziehbares Konzept unterbreitet werde, aus dem hervorgehe, welches Tätigkeitsfeld und welches Anforderungsprofil der neuen Fachanwaltschaft zugrunde liegen sollen.

Bei einem „Fachanwalt für Seniorenrecht“ müsse dabei insbesondere erkennbar werden, wodurch er sich von den Fachanwälten für Erbrecht, für Familienrecht und für Sozialrecht – möglicherweise auch für Arbeitsrecht – unterscheide.

Notwenig wäre für den Ausschuss also eine Konzeption für eine neue Fachanwaltschaft, dann erst könne geprüft werden.

„Bislang ist der Ausschuss mit dem Thema Seniorenrecht noch nicht befasst worden“, ist zu erfahren.

 

 

 

Nichts ist mehr im Lot

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Mardorf. Spät war es gestern. Trotzdem wacht er in aller Frühe auf. So ist es oft. Vielleicht noch eine Angewohnheit aus der Zeit, als er wenigstens als Praktikant einen geregelten Tag hatte. Mirko Wenderoth, 23, ist ohne festen Job, arbeitslos. Und das schon mehr als zwei Jahre.

Auch Alkohol habe er deswegen schon zu viel getrunken, erzählt er. Als so genannter Ein-Euro-Jobber will er arbeiten, endlich wieder eine Struktur haben. Jetzt wartet er auf positive Nachricht vom Amt.

Wenderoth: „Ich habe keine Lust mehr, rumzusitzen. Die Situation ist heftig. Auch Depressionen habe ich deswegen schon gehabt.“ Die 334 Euro Arbeitslosenhilfe pro Monat reichen ihm zwar – trotz 50 Euro Kostgeld, die er jeden Monat an seine Eltern zahlt. Denn er wohnt noch zu Hause. Wegen der 1,50 Euro pro Stunde hat er sich auch nicht gemeldet. Er braucht wieder einen geregelten Alltag. „Ich würde gerne im Garten- oder Landschaftsbau arbeiten. Oder auch nur fegen oder Hecken schneiden“, sagt Wenderoth.

Mehr als 30 Bewerbungen hat er schon geschrieben. Noch nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch sei er eingeladen worden, erzählt er. Dabei hat Wenderoth einen Gesellenbrief. Metallbearbeiter steht dort. Mit Brief und Siegel. Wenderoth ist qualifiziert, hat sich durchgekämpft. Vor der Abschlussprüfung war er auf der Schule für Lernhilfe in Homberg. Nach der 10. Klasse hatte er seinen Hauptschulabschluss in der Tasche. „Metallbearbeitung gefiel mir gut. Bei den Metallarbeiten hatte ich am meisten Geduld.“

Wenderoth zeigt zwei beinhohe Kerzenständer aus Metall. Während seiner Lehre hat er sie angefertigt, dafür kunstvoll Eisenstäbe gebogen und Kerzenhalter gesägt. Auch ein Lot, wie Handwerker es benutzen, liegt in seinem Zimmer. Er hat es selbst hergestellt. Neues hat Wenderoth in den vergangenen Monaten nicht gesägt, gefräst oder geschweißt. Er sieht nachdenklich aus. Doch, Lust mal wieder etwas zu bauen, hätte er schon, sagt er und erzählt von einem großen Wunsch: „Hätte ich genug Geld, würde ich mir ein Schweißgerät anschaffen.“ Doch die 1000 Euro dafür hat er nicht.

So wartet Wenderoth weiter auf Nachricht vom Amt. Damit er starten kann, wenn auch nur als so genannter Ein-Euro-Jobber. Bis dahin lenkt er sich ab, hört Hardrock-Musik. Und er wird wohl auch morgen wieder in aller Frühe wach werden. Gewohnheit.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 27. Oktober 2004