Wo Menschen radikale Ideen einander mitteilen, sind schnell interessierte Lauscher dabei. Damit die es zunehmend schwerer haben, das geschriebene Wort online mitzulesen, gibt es Verschlüsselungen für E-Mails – und verschlüsselte Chats. In einem, dem Cryptocat, traf ich kürzlich Ignatius, der im wahren Leben anders heißt. Auf einer cryptoparty will Ignatius nun sein Wissen über die Welt des Verschlüsselns an Workshop-Teilnehmer weitergeben. Darunter auch Aktivisten und politisch Aktive.
Journalist: Guten Abend, Ignatius, schon im Chat?
Ignatius: Hi, da bin ich.
Journalist: Prima, legen wir los. Warum unterhalten wir uns hier so geheim?
Ignatius: Naja, ich dachte, dass das sicher angemessen ist, wenn wir uns schon über eine cryptoparty unterhalten. So lernst du gleich ein einfaches Medium kennen, über das es mit denkbar geringem Aufwand (und auch für unerfahrene Benutzer_Innen) möglich ist, verschlüsselt zu kommunizieren.
Journalist: Ok, das war schon die Eingangsfrage. Weiter, Stichwort cryptoparty. Weshalb sollten Aktivisten und politisch Aktive verschlüsselt digital unterwegs sein?
Ignatius: Wer Politik machen will und dabei nicht nur auf Reförmchen drängt, sondern grundlegende Kritik an unserer Gesellschaft äußert, ist oft Überwachung ausgesetzt. Gerade, wenn es um die Planung von politischen Aktionen geht, interessieren sich Polizei und Staatsschutz oft für die Kommunikation von Aktivist_Innen. Da reicht es schon, wenn ziviler Ungehorsam Teil einer Aktion ist. Oft werden aber auch Aktionen kriminalisiert, die per se nicht illegal sind, oder es wird versucht, eine Szene auszukundschaften. Deshalb ist es oft wichtig, sicher kommunizieren zu können und zu wissen, dass privat bleibt, was nicht für Dritte bestimmt ist.
Journalist: Nachvollziehbar. Und für die Leser nochmal als kurze Erklärung: Ihr organisiert in Rheinland-Pfalz eine Cryptoparty, bei der auch das Verschlüsseln von Nachrichten ein Thema ist. Und das Wissen, wie verschlüsselte Chats funktionieren. Richtig?
Ignatius: Ja. Bei unser cryptoparty wollen wir versuchen, praxisorientiert den Besucher_Innen beizubringen, wie sie ihre E-Mails verschlüsseln können, wie sie sicher Dateien lagern und austauschen können, und wie sie verschlüsselt chatten. Unsere cryptoparty findet in Rheinland-Pfalz statt, aber wir richten uns primär an Menschen in Mainz – sonst wären das einfach zu viele Leute.
Journalist: Wenn jetzt jemand mehr darüber wissen möchte, als eventueller Teilnehmer, wie kann er denn Kontakt zu euch aufnehmen, wenn es keinen offiziellen Kontakt gibt?
Ignatius: Darüber haben wir uns offengestanden keine Gedanken gemacht, weil wir die Notwendigkeit nicht gesehen haben. Diese cryptoparty findet ja erstmal nur in Mainz mit einem kleinen Publikum statt. Da wir selbst in Mainz politisch aktiv sind, sind wir ohnehin mit so gut wie allen Menschen vernetzt, die sich für den Workshop interessieren könnten.
Journalist: Ok. Anderes Thema: Du schreibst, es werde versucht, eine Szene auszukundschaften, in vielen Fällen. Wer sollte denn nichts davon mitbekommen, was Aktivisten mailen?
Ignatius: Allgemein sind es Polizei und Verfassungsschutz, die oftmals versuchen, linke Projekte und linke Szenen auszuspionieren, auch wenn diese gar nicht konkret in illegale Aktivitäten verwickelt sind. Ein bekanntes Beispiel ist der Verdeckte Ermittler Simon Brommer, der vor einigen Jahren ohne jegliche gesetzliche Grundlage versuchte, die linke studentische Szene in Heidelberg auszuspionieren. über die NSA machen wir uns jetzt weniger Gedanken, auch wenn die bekanntermaßen quasi überall mitliest. Ich habe aber auch als Administrator der Webseite eines besetzten Hauses in Mainz vor zwei Jahren beobachten können, wie diese Webseite selbst, aber auch der Twitter- und der Facebook-Account dieses Projekts überwacht wurden. Wir können nicht ausschließen, dass Polizei oder Verfassungsschutz auch die Computer oder die Mailboxen von einzelnen Aktivist_Innen überwachen.
Journalist: Das klingt jetzt alles doch sehr radikal. Wer wird denn zu eurer cryptoparty kommen? Das werden doch sicher auch „harmlose“ Studierende sein, oder?
Ignatius: Ich glaube, diese Unterscheidung zwischen „radikal“ und „nicht radikal“ will ich nicht mitgehen. Wer als radikal bezeichnet wird, und wer nicht, liegt meistens nicht in der Definitionsmacht der Betroffenen. Als zu radikal gilt manchen schon die Feststellung, dass die Existenz von Alltagsrassismus ein Fakt ist, und antifaschistische Projekte mussten in der Vergangenheit eine „Demokratieerklärung“ unterzeichnen, wenn sie Fördermittel erhalten wollten. Radikal sind unsere Besucher_Innen wohl fast alle, insofern sie eine ungerechte Gesellschaft nicht einfach hinnehmen, sondern verändern wollen. Harmlos sind wohl ebenso fast alle. Das Problem ist ja gerade, dass poltische Aktivist_Innen bisweilen überwacht werden, ganz unabhängig davon, ob sie nun im Rahmen ihrer Aktivitäten den Rahmen der Gesetze verlassen oder nicht. Recht auf den Schutz unser Privatsphäre haben wir dennoch alle.
Journalist: Radikal heißt dann im Grunde also, die Ziele konsequent zu verfolgen. Diese Ziele wollen die Teilnehmer im Verborgenen diskutieren, online, und dafür auch das Verschlüsseln. Das Recht auf Privatsphäre könnt ihr so wirksam einfordern?
Ignatius: Der Radikalitätsbegriff wird vor allem oft als Schlagwort benutzt, um unbequeme politische Aktivitäten als gesellschaftsfeindlich zu stempeln und ist fast nie eine Selbstbezeichnung der damit benannten Menschen. Ich denke, so sollte „radikal“ verstanden werden. Mag aber sein, dass auch einige Menschen den Begriff auf sich selbst anwenden, um damit die Kompromisslosigkeit ihrer Einstellung zu kennzeichnen. Die Verschlüsselung dient den Teilnehmer_Innen des Workshops nun einerseits dazu, die Planung von politischen Aktivitäten geheim zu halten, beispielsweise wenn sie wie bei einer Straßenblockade im Rahmen einer Demonstration nicht mehr legal sind (was nicht heißt, dass sie nicht legitim oder angemessen sein könnten, schließlich kommt bei einer Straßenblockade niemand zu schaden). Andererseits betrifft die Überwachung von Kommunikation ja auch oft das, was eigentlich gar nichts mit politischen Aktivitäten zu tun hat, in der Intimsphäre der Betroffenen liegt und niemensch außer ihre Kommunikationspartner_Innen etwas angeht. Da geht es dann um die Privatsphäre.
Journalist: Traurig oder schlimm genug, dass überhaupt überwacht wird. Aber dann können wir doch sämtliche unverschlüsselte Mail- und Chatprogramme in die Tonne hauen. Denn Privatsphäre bieten sie ja offenkundig keine. Abhören beziehungsweise Mitlesen ist bei herkömmlichen Programmen mit einigem technischem Wissen immer möglich. Ignatius, was hältst du von diesem Fazit?: Egal ob radikal oder nicht, wer sein Recht auf Privatsphäre wahrnehmen möchte, muss verschlüsseln, wenn es online geht. Oder sich im Real Life im Verborgenen treffen.
Ignatius: Ok, das ist doch ein ganz brauchbares Resumée. Danke für das Interview!
Journalist: Danke dir auch. Und danke für die Demonstration von Cryptocat.