Archive for November, 2006

Loslassen kann eine Lösung sein

Montag, November 27th, 2006

Von Daniel Grosse

„Eine Firmenübergabe ist wie ein Staffellauf“, sagt Schreinermeister Helmuth Brehm, 56. Sein Sohn Matthias, 29, soll den Betrieb im Kasseler Stadtteil Wolfsanger übernehmen und das Bestehen des Familienbetriebes in der vierten Generation sichern.

Ein Handwerker werde immer mehr zum Kaufmann, sagt Helmuth Brehm. Das passe es, dass sein Sohn Groß- und Außenhandelskaufmann sowie Küchenfachberater sei. „Trotzdem hat Matthias das Schreinerdenken. Das ist wichtig“, betont der Senior.

Er sieht sich als „Steigbügelhalter“ des Sohnes und will noch vier, fünf Jahre das Geschäft fortführen. Ein anderer Nachfolger kam nicht in Betracht. Wegen Krankheit muss der Vater bereits jetzt lernen loszulassen: „Ich merke von Jahr zu Jahr, wie meine Leistungsfähigkeit nachlässt.“

Nach Abschluss der Unternehmensnachfolge wird der Sohn die Betriebsräume samt Maschinen vom Vater mieten und die Leitung übernehmen. Die Mietzahlungen sollen dem Senior einen Teil der Altersversorgung garantieren.

„Ich habe meinen Sohn nicht genötigt.“ Das bestätigt Matthias, der sagt, dass er sich auf seine neue Aufgabe freue. „Es wird zwar eine Umstelllung werden, und wir haben zum Teil recht unterschiedliche Ansichten, ergänzen uns aber.“

Friseurmeisterin Carolin Göring, 35, ist seit Jahresbeginn Inhaberin des Salons Thöne in Grebenstein (Landkreis Kassel). Von ihrem Vater Wolfgang Thöne, 63, hat sie den Salon gekauft, weil sie einen klaren Schnitt wollte. Ein Darlehen sichert die Finanzierung. Schon Mitte der 90er-Jahre sei klar gewesen, dass sie den Betrieb übernimmt, in dem sie auch gelernt hatte.

Stichwort „starker Vater“ – ein Problem für sie? „Nein. Er hat sich immer mehr aus dem Geschäft zurückgezogen und übernimmt nur noch kaufmännisch-organisatorische Aufgaben. Die Selbstständigkeit hatte ich mir schlimmer vorgestellt“, sagt Carolin Göring.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 12. August 2005

Tipper in der Grauzone – Verfassungsrichter verhandeln über Sportwetten-Monopol

Mittwoch, November 22nd, 2006

Von Daniel Grosse

Kassel/Karlsruhe. Buchmacher mit festen Gewinnquoten haben es schwer. Sie hoffen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ihnen die Tür für einen deutschen Sportwetten-Markt mit Milliarden-Profiten öffnen könnte. Die Karlsruher Richter verhandeln heute eine Weg weisende Verfassungsbeschwerde. Sie wendet sich gegen das Verbot der Veranstaltung von Sportwetten zu festen Gewinnquoten (Az: 1 BvR 1054/01).

„Die Einsätze für Oddset, Pferdewetten und private Sportwetten betrugen 2004 rund drei Milliarden Euro – allein in Deutschland“, schätzt Dr. Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Ein Kuchen, von dem viele etwas abhaben wollen. Um nämlich als Anbieter und Vermittler nicht in der rechtlichen Grauzone des Internet Wettbegeisterte zu einem Tipp verführen zu müssen, bleiben zwei Wege: der legale über Fußball- oder Eishockey-Wetten des Anbieters Oddset. Oder der Buchmacher macht sein Geld mit einer der vier Lizenzen aus DDR-Zeiten. Diese sind weiterhin gültig.

Das staatliche Sportwetten-Monopol bröckelt. Hinter dem Wettriesen Oddset steht mit dem Deutschen Toto- und Lottoblock als Anbieter der Staat. Federführend ist die staatliche Lotterieverwaltung des Freistaats Bayern. Sie argumentiert mit Spielsucht und sieht Gefahren. Im Gegensatz zu den gesetzlich nicht zugelassenen Wettanbietern, die naturgemäß auf eine Maximierung ihrer Umsätze und Gewinne aus seien, verfolge Oddset andere Interessen, sagt Oliver Frisch vom Referat Marketing und Sportwetten. „Das Wettangebot orientiert sich an rein sportlichen Gesichtspunkten sowie dem Schutz vor exzessivem Spielen und den damit verbundenen negativen Folgen für den Spieler und seine Familie.“

Um dem zu begegnen, setzen Anbieter wie das Internetportal Eurosportwetten.com auf Vorbeugung: „Von Spielsucht ist dann die Rede, wenn das Spielen-wollen zur Besessenheit wird, zum beherrschenden Drang“, steht dort. Tipps zur Selbstdiagnose und gesundem Tippen folgen.

Das zweite Argument der staatlichen Anbieter gegen ein Kippen des Sportwetten-Monopols: die Sportförderung. Paragraf 3 des Gesetzes über staatliche Sportwetten sieht vor: „Von den Spieleinsätzen der vom Land Hessen veranstalteten Sportwetten erhält der Landessportbund Hessen 3,75 Prozent.“

Eine Liberalisierung des Weltmarktes hätte fatale Folgen, befürchtet Rolf Hocke, Vizepräsident des Landessportbundes Hessen. „Die Einnahmen aus Lotto-Toto und Glücksspirale werden drastisch zurückgehen und damit die Förderung des Sports erheblich einschränken.“ Für die Vereine bedeute dies: weniger Geld für neue Sportstätten, Sportgeräte und Übungsleiter.

Wie die Karlsruher Richter auch entscheiden, Wirtschaftsexperte Bardt zählt auf den Gesetzgeber: „Der Verbraucherschutz muss gewährleistet sein.“

Quelle: Hessische-Niedersächsische Allgemeine (HNA), 8. November 2005

Einfach todschick – Mode für Hunde

Mittwoch, November 22nd, 2006

Von Daniel Grosse

Welch eine Szenerie. Gekleidet mit dem neuesten roten Badeanzug von Dior liegt Dackeldame Bella am Ostseestrand. Sie steckt in der Größe XXS, ihr Frauchen in einem XXL-Modell. Beide sind todschick. Auf der Uferpromenade flanieren zwei Chihuahuas, in Pumps. Die acht Pfennigabsätze klackern im Takt. Vor dem Biker-Treff grölt die Rocker-Meute. Vier Doggen streiten darum, wer von ihnen die wildeste Lederjacke trägt. Biker-Design, von Gucci. Ein tierischer Laufsteg.

Hundemode ist in. Auch in den Hundesalons auf Sylt und Ibiza beschäftigt die Pudel nur ein Thema: Welches Hundekleidchen wird Frauchen für den nächsten Sonntagsspaziergang wohl aus dem Schrank holen? Das rosa Spitzenkleid mit Rüschchen oder doch das Schlauchkleid mit den süßen weißen Pünktchen? Todschick. Das hätte den Vorteil, dass es wunderbar zu den Söckchen passt. Todschick.

Und ein Fettpölsterchen hier, eins dort, kein Problem. Einfach mit Herrchen im Fitnesscenter schwitzen. In der Hundeecke. Hauptsache der Auftritt auf der Strandpromenade wird eines – todschick.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 13. August 2005

Gelegenheit macht Diebe – Konsumforscher Wolfgang Twardawa über flexible Ladenöffnungszeiten während der Fußball-Weltmeisterschaft

Samstag, November 18th, 2006

Von Daniel Grosse

Nürnberg. Die kommende Fußball-Weltmeisterschaft hat die Diskussion über längere Ladenöffnungszeiten in Hessen entfacht. Wir sprachen darüber mit Konsumforscher Wolfgang Twardawa.

Herr Twardawa, wie viel Ladenöffnungszeit brauchen wir?

Wolfgang Twardawa: Das kann man pauschal nicht beantworten. Es gibt Konsumenten, die Zeit haben, aber kein Geld – und andersherum. Für die erste Gruppe führen längere Öffnungszeiten nur zu einer Verschiebung, aber nicht zu mehr Konsum. Die Menschen kaufen nur zu anderen Tageszeiten ein. Die zweite Gruppe hat wenig Zeit. Geht sie häufiger einkaufen, führt das zu einem Mehrverbrauch – getreu dem Sprichwort: „Gelegenheit macht Diebe“.

Und warum brauchen wir gerade während der Fußballweltmeisterschaft längere Öffnungszeiten?

Twardawa: Wir erwarten sehr viele Besucher aus Ländern, in denen die Öffnungszeiten freier sind, und die erwarten, dass sie auch bei uns flexibel einkaufen können. Außerdem gibt die WM einen anderen Takt vor für andere Einkaufszeiten.

Aber wird jemand um 23 Uhr nach einer Fußballspiel-Übertragung noch in den Supermarkt gehen?

Twardawa: Viele werden sich die Spiele nicht zu Hause anschauen. Sie teilen sich die Zeiten anders ein. Deshalb machen längere Öffnungszeiten sowohl für die ausländischen Gäste als auch für die Einheimischen Sinn.

Gilt das auch für die Sonntage und die Zeit nach der WM?

Twardawa: Die Sinnfrage muss lauten: Offene Geschäfte 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche? Eine Flexibilisierung sollte sein, aber nicht zu 100 Prozent. Nicht alle Geschäfte sollten sonntags öffnen. Wohl aber die für Waren des täglichen Bedarfs, wie zum Beispiel Lebensmittel. Brötchen gibt es schon heute sonntags zu kaufen. Man sollte es dem Handel überlassen, wie er seine Öffnungszeiten gestaltet. Wenn der Juwelier meint, dass er seine Kunden erst um 20 Uhr kommen lässt, dann wird er eben nicht schon um 9 Uhr öffnen.

Wolfgang Twardawa (62) ist Betriebswirt und arbeitet als Marketingleiter bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 19. Januar 2006

Wer rechtzeitig plant, kann Geld sparen – Bei Unternehmensnachfolge können Steuerforderungen zu einer Belastung für Betriebe werden – Auch Erbansprüche berücksichtigen

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Vor der Übertragung eines Unternehmens sind auch wichtige rechtliche Fragen zu klären. Beispiel Steuern: Bei einem Verkauf müssen die stillen Reserven aufgedeckt werden, die den Wert des Unternehmens stark erhöhen können. Das wirkt sich wiederum auf die Einkommensteuer aus. Ob Schenkung, Pacht oder gar Miete der beste Weg ist, das Unternehmen zu übertragen, sollte ein Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt prüfen. „Es muss eine Strategie entwickelt werden, damit sich die bei der Übertragung entstehenden Steuerforderungen nicht zu einer unkontrollierbaren Liquiditätsbelastung entwickeln“, rät Berthold Theuffel-Werhahn, geschäftsführender Rechtsanwalt bei der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers Legal AG in Kassel.

Neben die steuerrechtlichen Fragen treten erbrechtliche: Kinder, die bei der Nachfolge unberücksichtigt bleiben, können Ausgleichsansprüche geltend machen, die den Betrieb wirtschaftlich belasten können. Eine rechtzeitige Planung dient also nicht nur dem Familienfrieden.

„Das schlimmste ist, wenn der Chef vom Dach fällt und nichts geregelt ist“, sagt Wolfgang Miethke, Berater bei der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen. Viele Unternehmensinhaber hätten kein Testament. Das sei kurzsichtig, da nach einem unverhofften Todesfall die gesetzliche Erbfolge die Existenz des Betriebes gefährden könne.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 12. August 2005

71 000 freie Jobs – Firmenchefs reif für Stabübergabe – Nachfolgersuche beginnt oft zu spät

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Auf die Frage, wann Unternehmer sich mit dem Thema Nachfolge beschäftigen, hat Peter Rudolph nur eine Antwort: „Zu spät.“ Die Erfahrungen des Beraters der Handwerkskammer Kassel bestätigen die Zahlen des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn: Danach stehen in diesem Jahr 71 000 Firmenchefs in Deutschland vor der unbeantworteten Frage, wer ihr Unternehmen übernimmt. Immer mehr Firmen werden verkauft, weil die Nachfolge nicht geregelt werden kann. 5900 Unternehmen werden mangels Nachfolger sogar stillgelegt, 33 500 Stellen gehen verloren.

„Ohne Zweifel ist die Unternehmensnachfolge das bedeutendste Wirtschaftsthema für mittelständische, Inhabergeführte Unternehmen“, sagt Steuerrechtler Berthold Theuffel-Werhahn, geschäftsführender Rechtsanwalt der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers Legal AG in Kassel. Für eine rechtzeitige Nachfolgesuche spreche, dass der Übernehmer eingearbeitet werden müsse. Einen weiteren Grund nennt Wolfgang Miethke, Berater bei der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen: „Unter Zeitdruck werden bei so wichtigen Fragen häufig Fehler gemacht.“ Er rät Unternehmern, sich schon fünf Jahre vor der geplanten Übergabe mit dem Thema ausein-anderzusetzen.

Vor allem der Qualifikation, dem Lebensalter und der Persönlichkeit des Kandidaten komme große Bedeutung zu, sagt Theuffel-Werhahn. Und der Senior müsse die Frage klären: Will der eigene Nachwuchs den elterlichen Betrieb überhaupt fortführen?

Die Weitergabe an Familienmitglieder ist allerdings nur eine Möglichkeit. Eine zunehmende Zahl von Verkäufen an Externe beobachtet Carsten Heustock, zuständig für Unternehmernachfolge bei der Industrie- und Handelskammer Kassel. Vor allem im Handel orientierten sich die Kinder der Kaufleute beruflich häufig in eine andere Richtung. „Viele wollen nicht mehr hinter dem Tresen stehen.“

Ist der Nachfolger gefunden, muss der Unternehmer loslassen. Nur die Hälfte der scheidenden Inhaber könne das jedoch, schätzt Berater Peter Rudolph von der Handwerkskammer Kassel. „Viele wollen die Kinder nicht erwachsen werden lassen.“ Aber: „Es schadet einem Unternehmen, wenn der Eindruck entsteht, der Seniorchef und sein Nachfolger hätten unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer das Unternehmen führt“, sagt Theuffel-Werhahn.

Egal, an wen der Unternehmer seinen Betrieb letztlich übergibt, und ob er ihn verkauft oder verpachtet – eine wichtige Überlegung muss sein: Reicht der Ertrag im Alter zum Leben?

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 12. August 2005

Was bleibt, ist die Angst – Kriminelle Taten bedeuten einen Einschnitt – Opfer berichten

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Frankenberg. Im Februar diesen Jahres wurde Michaela S. (Namen geändert), elf, auf dem Burgberg in Frankenberg sexuell missbraucht. Mit zehn Kindern war sie an diesem Tag unterwegs. Sie spielten, waren fröhlich. Als Michaela und ihre Freundin an einem Gartenhaus vorbeikamen, wurden die beiden von einem Mann, Christian B., angesprochen. Er sagte zu den Mädchen: „Kommt mal mit, Fotos angucken.“ Die schauten sie sich an, ganz normale Kinderfotos. Was folgte, waren Fragespielchen wie: In welcher Klasse seid ihr? Auf welcher Schule? Wie alt?

„Bist du mutig?“ hieß das nächste Spiel. Er berührte die Füße der Mädchen, dann die Beine und führte seine Hand in deren Hosen. Die Mädchen schafften es, zu fliehen.

Das spätere Strafurteil für den Täter wegen sexueller Nötigung – angewendet wurde Jugendstrafrecht: zwei Wochenenden Freizeitarrest. Auch einer Therapie muss er sich unterziehen.

Äußerlich und auf den ersten Blick ist Michaela S. heute nichts mehr von der Tat anzumerken. Sprechen über das Erlebte will sie mit Fremden aber nicht. „Sie hat in der Schule komplett abgebaut. Sie hat Albträume, sie spricht im Schlaf“, erzählt die Mutter. „Wenn sie danach ein Auto sah, das rot war wie das von Christian B., dann hat sich meine Tochter hinter mich gestellt.“ Die Mutter berichtet, dass sich das Mädchen jetzt schäme, und dass sie sich nicht mehr nackt zeigen möchte.

Per Antrag haben die Eltern Michaela in der Schule zurückstufen lassen. Sie wiederholt zurzeit die fünfte Klasse.

„Unsere Tochter ist ganz anders geworden. Wir müssen aufpassen, dass sie uns nicht weggleitet.“ Die Mutter hat Briefe gefunden, in denen ihre Tochter sich die Schuld für die Vorfälle gibt. „Ich habe ihr gesagt ‚Du bist nicht schuld!‘ .“

Den Zustand von Michaela am Tag der Gerichtsverhandlung beschreibt ihre Mutter als „zitternd“. Und den Urteilsspruch nennt sie „einen Witz“.

Nach der Tat war das elfjährige Mädchen in psychologischer Behandlung. Die Therapeutin hat der Mutter Hoffnung gemacht und gesagt: „Ihre Tochter ist eine starke Persönlichkeit.“

Andere Tat, andere Opfer: An einem Sonntag im Sommer diesen Jahres wurden die Röddenauer Martin G. und seine Frau Opfer blinder Zerstörungswut. Martin G. fuhr an diesem Tag mit seinem Golf zum Angeln nach Frankenberg. Seinen Wagen parkte er auf der Wehrweide. Kurz nach acht kam sein Bruder und rief ihm zu: „Dein Auto ist demoliert worden. Die Polizei sucht dich.“ Auf dem Parkplatz fehlten Pflastersteine. Scheiben und Türen waren eingeschlagen und eingetreten.

Ein Schock war das für Martin G. und seine Frau – vor allem finanziell. Mit solchen Ausgaben hätten sie nicht gerechnet, sagen sie heute. Eine Versicherung sprang nicht ein. Außerdem waren sie auf ein Auto angewiesen. Verwandte und die Opferschutzorganisation Weißer Ring halfen mit dem Nötigsten. Auch die Reise an ihrem 20. Hochzeitstag mussten sie verschieben. „Jetzt haben wir gelernt, nichts mehr zu planen.“ Im Oktober kommt ihr Fall vor Gericht.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 3. Oktober 2004

Nichts ist mehr im Lot

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Mardorf. Spät war es gestern. Trotzdem wacht er in aller Frühe auf. So ist es oft. Vielleicht noch eine Angewohnheit aus der Zeit, als er wenigstens als Praktikant einen geregelten Tag hatte. Mirko Wenderoth, 23, ist ohne festen Job, arbeitslos. Und das schon mehr als zwei Jahre.

Auch Alkohol habe er deswegen schon zu viel getrunken, erzählt er. Als so genannter Ein-Euro-Jobber will er arbeiten, endlich wieder eine Struktur haben. Jetzt wartet er auf positive Nachricht vom Amt.

Wenderoth: „Ich habe keine Lust mehr, rumzusitzen. Die Situation ist heftig. Auch Depressionen habe ich deswegen schon gehabt.“ Die 334 Euro Arbeitslosenhilfe pro Monat reichen ihm zwar – trotz 50 Euro Kostgeld, die er jeden Monat an seine Eltern zahlt. Denn er wohnt noch zu Hause. Wegen der 1,50 Euro pro Stunde hat er sich auch nicht gemeldet. Er braucht wieder einen geregelten Alltag. „Ich würde gerne im Garten- oder Landschaftsbau arbeiten. Oder auch nur fegen oder Hecken schneiden“, sagt Wenderoth.

Mehr als 30 Bewerbungen hat er schon geschrieben. Noch nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch sei er eingeladen worden, erzählt er. Dabei hat Wenderoth einen Gesellenbrief. Metallbearbeiter steht dort. Mit Brief und Siegel. Wenderoth ist qualifiziert, hat sich durchgekämpft. Vor der Abschlussprüfung war er auf der Schule für Lernhilfe in Homberg. Nach der 10. Klasse hatte er seinen Hauptschulabschluss in der Tasche. „Metallbearbeitung gefiel mir gut. Bei den Metallarbeiten hatte ich am meisten Geduld.“

Wenderoth zeigt zwei beinhohe Kerzenständer aus Metall. Während seiner Lehre hat er sie angefertigt, dafür kunstvoll Eisenstäbe gebogen und Kerzenhalter gesägt. Auch ein Lot, wie Handwerker es benutzen, liegt in seinem Zimmer. Er hat es selbst hergestellt. Neues hat Wenderoth in den vergangenen Monaten nicht gesägt, gefräst oder geschweißt. Er sieht nachdenklich aus. Doch, Lust mal wieder etwas zu bauen, hätte er schon, sagt er und erzählt von einem großen Wunsch: „Hätte ich genug Geld, würde ich mir ein Schweißgerät anschaffen.“ Doch die 1000 Euro dafür hat er nicht.

So wartet Wenderoth weiter auf Nachricht vom Amt. Damit er starten kann, wenn auch nur als so genannter Ein-Euro-Jobber. Bis dahin lenkt er sich ab, hört Hardrock-Musik. Und er wird wohl auch morgen wieder in aller Frühe wach werden. Gewohnheit.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 27. Oktober 2004

Im Wald ruhen die Toten – Bodendenkmäler aus der Bronzezeit in Nordhessens Wäldern

Montag, November 13th, 2006

Von Daniel Grosse

Gottsbüren. „Da waren Grabräuber am Werk“, sagt Klaus Sippel. Während der Fahrt durch den Reinhardswald zeigt der Archäologe mit dem Finger zwischen die Bäume. Ein Hügelgrab mit einer armtiefen Delle verrät die Schatzsucher – keine modernen. „Die haben hier im 19. Jahrhundert gegraben.“

Im Wald ruhen die Toten. Im Reinhardswald sind ihre Gräber fast 4000 Jahre alt. Aber die Gräber haben zwei Feinde: schwere Forstmaschinen, die den Waldboden bearbeiten und Raubgräber, die nach Scherben und Schmuck suchen. Deshalb setzen Waldschützer wie Sippel auf die Hilfe von Förstern und Waldarbeitern – und auf eine Informationsschrift: Archäologie im Wald. Sie beschreibt, welche Bodendenkmäler es gibt, und wie sie aussehen.

120 archäologische Fundstellen allein im Reinhardswald sind bekannt: auf 20 000 Hektar Fläche zwischen Wilhelmshausen und Bad Karlshafen. Verteilt sind sie aber auf ganz Hessen. Erst kürzlich entdeckten Sippel und ein Mitarbeiter im Wald bei Romrod (Vogelsberg) Hügelgräber aus der Bronzezeit.

„Viele Förster erkennen ein Hügelgrab nicht“, sagt Sippel. Deshalb fordert der Archäologe, dass Denkmalpflege in ihrer Ausbildung vertieft wird. Seit vier Jahren schult er regelmäßig Förster und Waldarbeiter, führt sie durch die Wälder, zeigt ihnen jahrhundertealte Bodendenkmäler wie Grabanlagen oder Ringwälle, die vor Angreifern schützen sollten.

Förster wie Eberhard Albrecht vom Forstamt Reinhardshagen profitieren davon. Stehen sie doch vor einem Problem: Waldflächen sind häufig nicht einsehbar. „Wenn der Wald sich bildet, dann ändert sich auch der Boden mit seinem Bewuchs“, erklärt Albrecht.

Nur einen Steinwurf neben der Landstraße zwischen Gottsbüren und Helmarshausen erheben sich drei Hügelgräber versteckt hinter Bäumen. Bedeckt sind die Hügel mit einer dicken Schneedecke. Einer misst 25 Meter im Durchmesser. 1,80 Meter ist er hoch. „Das Grab könnte aus der Bronzezeit stammen, aus der Zeit zwischen 1700 bis 1200 v. Chr.“, sagt Sippel.

Wen die Menschen in solchen Gräbern bestattet haben, wie bedeutend er war und warum Erde über dem Toten aufgeschüttet wurde, sei noch nicht endgültig erforscht, erklärt der Archäologe. „In der Regel waren sie aber für eine Person bestimmt, die die Menschen unter dem Hügel in einem Körper- oder Urnengrab beisetzten. Männer, Frauen – aber auch Kinder.“

Bei seiner Suche nach Bodendenkmälern braucht Sippel Hilfe. Immer wieder erhalte er Anrufe von Menschen, die ihm von ihren Funden berichten, sagt er. Fundstellen markiert der Archäologe dann auf Karten – wichtige Hilfen für Förster und Waldarbeiter.

Quelle: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), 7. Februar 2006