Mit Holz und dem Naturerlebnisgedanken möchte „Cornwall and more“ Mitarbeiter langfristig binden. Foto: Daniel Grosse
Wirklich wahr?
Von Daniel Grosse
Wer sich in den Führungsetagen der großen deutschen Wirtschaftskanzleien umhört, lernt das Fürchten. Die Gruppe der Global Player unter den Mega-Kanzleien hat massive Personalprobleme. Die Großstädte im In- und Ausland sind schon längst ein Markt, auf dem es nichts mehr zu holen gibt. Immerhin können sich die Besten unter den Top-Juristen ihre Arbeitgeber aussuchen. „Cornwall and more“ hat das Problem erkannt und macht etwas, was schon viele in der Branche tun: benefits anbieten. Aber die Großkanzlei mit Standorten in München, Frankfurt, Düsseldorf und Schwäbisch Hall setzt auf den Charme der Provinz. Statt schöner, toller, exklusiver, heißt bei „Cornwall and more“ das Motto für die Neuen: Ran ans Holz!
Was wie ein abgenutzter Spruch aus der Baumarkt-Werbung klingt, ist durchaus ernst gemeint. Die Kanzleilenker möchten Bewerbern eben mehr bieten als immer nur einen Ausgleich für deren ausgewogene Work-Life-Balance oder ein 16. Monatsgehalt. Auch Sport- als Dienstwagen oder teure Kurzurlaube für Mitarbeiter mit 60-Stunden-Wochen sind schon längst kein Grund mehr, länger als nötig bei seinem Arbeitgeber zu bleiben.
Was also steckt hinter dem plakativen „Ran ans Holz“? Senior Partner Jus Dillon-Wurst, mit Wurzeln in Marburg-Marbach, erklärt die Hintergründe.
Was bezwecken Sie als Großkanzlei mit Ihrer Idee?
Jus Dillon-Wurst: Dumme Frage.
Warum?
JDW: Weil die Antwort bereits im Motto steht. Ran ans Holz erklärt sich selbst.
Das klingt aber eher nach Kegeln statt nach Bewerbersuche oder dem Halten talentierter Mitarbeiter.
JDW: Sehen Sie, die Juristen bei uns arbeiten häufig bis zum Umfallen. Das ist gut und wichtig für unseren Umsatz. Auch den Gewinnen schadet das nicht. Jedoch ist dieser Zustand bereits seit Jahren unverändert.
Wo also liegt das Problem?
JDW: Sie kapieren es nicht, oder? Wir können die Mitarbeiter nicht länger als 60 oder 70 Stunden arbeiten lassen. Das würde mit dem Arbeitszeitgesetz kollidieren. Das schreibt vor, regelmäßig Pausen einzulegen, die möglichst „körperlicher Natur“ sind.
Was bedeutet das?
JDW: Joggen, Stricken, Fitness, was auch immer. Wir prüfen das nicht nach.
Und wann kommt nun das Holz ins Spiel?
JDW: Hacken.
Bitte?
JDW: Holz hacken, das Holz sägen, es spalten, verarbeiten.
Aber das versaut Ihnen doch komplett Ihre Kanzleiräume.
JDW: Deshalb ja auch die Idee mit der Provinz und dem Naturgedanken. Wir haben bereits mit Schwäbisch Hall als Kleinstadt gute Erfahrungen gemacht. Dort fahren die jungen Kanzleikollegen bereits als 20- bis 25-Jährige ganz alleine in ihren Pausen auf unseren Geschäfts-E-Bikes in den nahen Wald und toben sich aus. Das schaffen die. Ohne Hilfe.
Und das funktioniert? Damit bekommen und halten Sie Mitarbeiter?
JDW: Das können Sie glauben! Wir planen nun weitere Standorte, zunächst nur in Deutschland. Und da ich die Marbach aus meiner Kindheit kenne, mit den Wäldern nur wenige Minuten entfernt, werden wir dort ein Büro eröffnen.
Sie glauben ernsthaft, dass sich junge Super-Juristen, so genannte High Potentials, mit Top-Noten und Empfehlungen auf den Vorort einer hessischen Unistadt einlassen?
JDW: Genau das. Mit der Firma Stihl haben wir bereits einen großen Deal abgeschlossen. In dem Vertrag steht, dass uns kostenlos 20 Motorsägen der neuesten Baureihe sowie 20 Äxte mit Edelschliff zur Verfügung gestellt werden. Kostenfrei. Dafür toben sich die Mitarbeiter auch nur dann am Holz aus, wenn sie zuvor einen Stihl-zertifizierten Kurs, der auch öffentlich anerkannt ist, absolvieren.
Einen Kurs?
JDW: Kein Scherz, aber in Deutschland benötigen Sie einen Schein, der es Ihnen erlaubt, im Wald mit einer Motorsäge „Holz zu machen“, wie die Insider sagen.
Wo in der Marbach soll denn Ihr neuer Standort entstehen? Ehrlich gesagt, klingt Ihre Idee etwas irre.
JDW: Das soll sie ja auch, danke Ihnen für das Kompliment. Wir sind irre, deshalb ja auch der weitere Schritt in die Provinz. Aber nur aus Irrem, oder lassen Sie es mich Gewagtes nennen, entsteht manchmal Neues. Also, zurück zu Ihrer Frage. Sie kennen sicher das ehemalige Pfarrhaus unweit der Grundschule. Das steht leer. Es bietet Platz und eine gute Sicht auf die Landschaft. Unten die Emil-von-Behring-Straße, oben die Haselhecke. Einen Steinwurf entfernt ein großer Parkplatz und das Bürgerhaus mit genügend Stellfläche.
Was sagt die Kirche dazu?
JDW: Das ist alles längst geregelt. Auch die Privatwaldbesitzer Marbachs sitzen längst im Boot. Sie freuen sich sogar auf die jungen Juristen, warnen allerdings vor Borkenkäfern.
Bitte?
JDW: Uns wurde bei einem Briefing mit den Eigentümern der Waldstücke und dem Forstamt erklärt, dass sie sich gerne abnorm verhalten?
Die Waldbesitzer?
JDW: Was ist eigentlich Ihr Beruf? Hören Sie genau zu!
Entschuldigung. Also?
JDW: Die Borkenkäfer besitzen einen natürlichen Beißreflex, der sich mitunter nicht nur auf das Gehölz erstreckt, sondern auch auf Unbekannte.
Unbekannte?
JDW: Menschen, Arbeiter, wer auch immer, der sich in Waldparzellen erstmals aufhält, den sie nicht kennen.
Wir sprechen von Borkenkäfern?
JDW: Ja, aber das ist nicht unsere Sache. Die Mitarbeiter werden bestens geschult. Sie bekommen das hin, wenn sie in den Pausen mit ihren Sägen und Äxten unterwegs sind.
Wann starten Sie also?
JDW: Am 1. Juni, wenn wir genug Bewerbungen gesichtet haben, die erfolgversprechend sind.
Läuft die Bewerbungsfrist noch?
JDW: Ja, bis zum 31. März.
Danke für das Gespräch, Herr Dillon-Wurst.